Sonntag, 5. April 2020
Sarah, die Youtuberin (7)
Jetzt schaut sie kurz zu mir auf, läuft ins Treppenhaus, erhebt sich kurz und steigt die Treppe zur Hoftür hinunter. Neugierig schaue ich nach, was ihr jetzt wieder eingefallen ist. Am Schlüsselbrett fehlt das Schlüsselbund mit den Haustür- und Hoftürschlüsseln. Die Hoftür steht offen.
Einmal tief durchatmend folge ich ihr in den Garten. Sie steht abwartend im Hof, das Schlüsselbund im Mund. Als ich in der Hoftür erscheine, läuft sie über das Peetschi tiefer in den Garten und zwingt mich so, ihr zu folgen. Sie umrundet die Beerensträucher und läuft wieder auf das Haus zu, als ich mich vom Haus entfernt habe. Dort habe ich sie wieder eingeholt. Was nun fehlt, ist das Schlüsselbund.
Ich ziehe die Stirn kraus und gehe den Weg ab, den sie gelaufen ist. Hinter einem Beerenstrauch sehe ich etwas Metallisches auf der Erde blinken. Ich bücke mich, nehme das Schlüsselbund an mich und schaue mich danach nach Sarah um. Sie ist mir gefolgt und läuft nun lachend davon.
Ein ‚Nachlaufen‘-Spiel mögen Hunde zwar gern, aber diesmal bin ich sauer. Wenn der Schlüssel verloren geht, stehe ich da. Zwar habe ich ein Ersatz-Schlüsselbund, aber wer weiß, was der Finder mit den Schlüsseln macht. Ich möchte keine ungebetenen Besucher im Haus haben. Also gehe ich zum Haus zurück, ohne auf Sarah zu achten.
Ich schließe die Hoftür hinter mir und hänge das Schlüsselbund wieder an seinen Platz. Von Sarah ist momentan nichts zu sehen. Zufällig fällt mein Blick aus dem Küchenfenster auf den Hof. Sie kommt als Zweibeiner hinter der Hühnervoliere hervor und wendet sich zum Haus, sich wieder auf alle Viere niederlassend. Sie hat also das Herzhäuschen aufgesucht und mich vorbeigehen lassen.
Ich höre sie an der Tür klopfen und lasse sie herein. Mich trifft nun ein prüfender Blick von unten herauf. Dann streicht sie an meinen Oberschenkeln vorbei und steigt die Treppe hinauf. Ich folge ihr und setze mich im Wohnzimmer auf die Couch. Sie klettert ebenfalls hoch und legt sich neben mich, ihren Kopf auf meinen Oberschenkel.
Nach einigen stillen Minuten beginne ich, ihr sanft durchs Haar zu streichen. Sie dreht sich auf den Rücken, schaut mich fragend an und sagt:
„Keng Strof fir mäi naass Vahaaln -Keine Strafe für mein ungezogenes Verhalten-?“
„Sou -So-,“ antworte ich und blinzele ihr zu, „war ärt Vahaaln naaass a raudisch fir är eegenet Gefill-für dein eigenes Empfinden war dein Verhalten ungezogen und frech-?“
„Or net -oder nicht-?“ lächelt sie mich entwaffnend an.
„Loost eis soen, dau duus net sou ass en Hond, dau bess et: gess dau en Hond schloen -Nehmen wir an, du spielst nicht nur einen Hund, du wärst einer: Würdest du einen Hund schlagen?“
Sie dreht sich, stemmt sich mit den Armen hoch und schüttelt vehement den Kopf.
„Dau schlo kee Dier! D‘Relatioun vu Vertrawen täscht Maasta an Hond gid zerstiert -Du schlägst kein Tier! Das Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Hond wird zerstört.-“
„Recht -richtig-!“ gebe ich ihr Recht. „Awer gess dau en anner Strof wielen? Wann jo, wei en? -Aber würdest du eine andere Strafe wählen? Wenn ja, welche-?“
Unsicher geworden, antwortet Sarah:
„Eisch weess et net… -Ich weiß nicht…-„
„Ein Tier verknüpft die Reaktion meinerseits mit der direkt vorher erfolgten Aktion seinerseits. Wenn ich erst später reagiere, weiß das Tier nicht, warum ich so oder so reagiere und es reagiert verstört, wird vielleicht zu einem Angstbeißer. Ungezogenes Verhalten, kann ich also nur sofort ahnden.
Wenn ich zuerst hinter dir herlaufen muss, um etwas wieder zu bekommen, und reagiere erst dann, ist es zu spät. Bist du öfter ungezogen, müsste ich ein Schockhalsband für dich kaufen. Damit kann ich auch aus der Entfernung reagieren.“
Sarah schaut mich groß an. Ich schüttele lächelnd den Kopf und rede weiter:
„Lafen ass e schien Spill fir Honds. Gär maache mer dat heiansdo, awa dann met Saachn die winneg Währt honn! -Nachlaufen ist ein beliebtes Spiel unter Hunden. Gerne machen wir das ab und zu, aber dann mit Sachen, die wenig Wert haben-!“
„Okay!“ antwortet sie und schaut zu Boden.
Ich nicke ihr aufmunternd zu und meine:
„Loost eis soen, dau bess naach net op Hondstrickn trainährt an dofir net fäeg woren… -Nehmen wir an, du bist noch nicht auf Hundekommandos trainiert und konntest deshalb nicht gehorsam sein…-“
Sarah merkt auf.
„Hondstrickn trainährn… -Hundekommandos trainieren…-“ wiederholt sie mich. „Wie geetet? -Wie geht das?-“
„Heute nutzt man in allen Hundeschulen in Deutschland dafür die ‚positive Verstärkung‘, das bedeutet ‚Motivation über Lob und Belohnung‘.“
„A wann eisch net well? -Und wenn ich nicht will?-“ bleibt Sarah am Ball.
„Ein echter Hund mag es, wenn man sich um ihn kümmert, ihm Aufmerksamkeit schenkt. Dann ist er glücklich. Das wirkt auch wie eine Belohnung. – Wenn ich dich nun ignorieren würde, weil du keine Kooperation zeigst?“
„Dat wier schläch! -Das wäre schlimm!-“
„Siehst du. Dich trainieren bedeutet auch, dir Aufmerksamkeit schenken, meine Zeit mit dir teilen…“
„Dat ass recht, -das stimmt-,“ bestätigt sie. „Wat kunn eich mam Lof an Be-lounung vastoen? -Was kann ich denn unter ‚Lob und Belohnung‘ verstehen?-“