Dienstag, 7. April 2020
Sarah, die Youtuberin (10)
Der Hausbewohner hat die Tür nach draußen geschlossen und ist an mir vorbei gegangen. Nun öffnet er die Tür linker Hand geradeaus. Dahinter befindet sich ein schmaler langer Raum mit komischen Dingern aus Holz drin, die vier Beine haben mit einer Platte darauf. Kleinere Dinger dieser Art haben noch ein hochstehendes Brett. Außerdem stehen dort wuchtige hohe Dinger mit kleinen Türen vorne dran.
Ich schaue mir alles aus der Nähe an und schnüffele daran, wie Maja es immer gemacht hat, wenn sie etwas noch nicht kennt. Der Mann schaut mir lächelnd zu, wie ich sehe, wenn ich zwischendurch zu ihm aufschaue. Bald setzt er sich auf so ein kleines Ding mit vier Beinen und an das große Teil. Er schneidet Brot ab und beginnt zu essen. Dabei beobachtet er mich weiter.
Nach kurzer Zeit hält er mir seine Hand hin und sagt, aufmunternd lächelnd:
„Na komm…“
Die Augen zusammenkneifend schaue ich zu ihm und nähere mich vorsichtig. Bei ihm angekommen, setze ich mich auf meine Fersen und begutachte den Inhalt seiner Hand. Das kenne ich! Es schmeckt süß bis leicht säuerlich, ist saftig aber von fester Konsistenz. Vorsichtig nehme ich ein Stückchen mit den Lippen auf. Ich kaue erfreut darauf herum und schlucke es hinunter. Dann nehme ich mehr davon mit dem Mund aus seiner Hand. Das mag ich! Schnell habe ich seine Hand leer gegessen und lecke nun den Saft von seiner Handfläche.
Danach bietet mir der Mann kleine Stücke der Nahrung an, die er auch gerade isst. Dafür stelle ich mich auf die Hinterbeine und stütze mich mit den Vorderbeinen auf so einem kleinen Ding ab, auf dem der Mann auch gerade sitzt. Jetzt kann ich auch die große Platte überblicken. Aber da steht nicht viel mehr drauf. Nur eine Kanne und die Tasse, aus der er mir vorhin zu trinken gegeben hat.
Der Mann hebt nun die Tasse an und hält sie mir hin. Darin befindet sich jetzt eine braune Flüssigkeit. Vertrauensvoll trinke ich etwas davon. Die Flüssigkeit ist schön warm, aber sie ist bitter. Prustend spucke ich aus, was ich im Mund habe. Ich mache schnell zwei Schritte rückwärts und ducke mich unwillkürlich weg. Aber der Mann lacht nur verhalten und beugt sich zu mir vor. Er nähert sich mir mit seiner Hand.
Zuerst schnüffele ich daran. Sie ist leer. Er dreht die Handfläche und berührt mich sanft an der Wange.
„Kaffee magst du wohl nicht,“ meint er. „Aber das ist nicht schlimm! Dann bekommst du eben anderes zu trinken.“
Kurz darauf erhebt sich der Mann von seinem Sitz und räumt die große Platte ab. Danach wendet er sich wieder mir zu. Ich habe inzwischen rückwärts gehend Abstand gesucht, ihn immer im Auge behaltend.
„Du möchtest bei mir bleiben? Von mir versorgt, gepflegt, beschäftigt werden?“ fragt er.
Ich hebe den Kopf und antworte mit einem „Wuff!“
„Hm,“ meint er daraufhin. „Die Verständigung ist doch sehr einseitig… Wunderbar, dass du so eine vielfältige Mimik zeigst und ich mich ein wenig auch mit der Gestik von Hunden auskenne. Du bist wohl von Hunden oder Wölfen aufgezogen worden… Es wird sicher helfen, wenn wir zur Verständigung gewisse Codewörter vereinbaren. Ich will sie dir gerne beibringen.“
Seine Stimme ist dabei so sanft, dass ich mich ihm wieder nähere und meine Wange an seinem Bein reibe. Er fährt mir dabei zart durch mein Haar.
„Zuerst muss ich aber noch einmal in den Garten,“ redet er weiter. „Wenn du magst, komm mit und schau mir zu.“
Er geht zur Tür und sieht sich nach mir um. Ich bleibe noch stehen und schaue ihm hinterher. Nun, als er die Tür weit offen hält, folge ich ihm hinaus in den Garten. Er reinigt den Stall, tauscht das Stroh aus und lädt es auf eine Karre. Dann öffnet er die Tür mit dem herzförmigen Loch, hebt eine Platte mit rundem Loch an und schaufelt den Kasten leer, um auch dort neues Stroh hinein rieseln zu lassen.
Das schmutzige Stroh fährt er zu einem Hügel am Ende des Gartens und lädt es dort ab. Nun schaufelt er Erde darüber, schiebt dann die leere Karre zurück an ihren Platz und reinigt sie mit einer Handvoll Stroh.
Jetzt nimmt er einen Dreizack und lockert damit die Erde auf, wo das Gemüse wächst. Währenddessen redet er die ganze Zeit mit mir und erklärt mir dabei, was er macht. Ich höre ihm gern zu.
Plötzlich fällt ihm das Loch auf, aus dem ich am frühen Morgen die orange Wurzel gezogen habe. Er lächelt, lockert den Boden und verschließt das Loch. Ich bin wieder vorsichtig auf Abstand gegangen.
Er zwinkert mir aber zu und sagt:
„Ah, du hast heute schon gefrühstückt! Keine Angst! Ich verstehe dich ja! Aber in Zukunft übernehme ich das. Du brauchst dir keine Sorgen mehr darüber zu machen, wo du dein Essen her bekommst!“
Nach einer Weile sieht er auch das angebissene runde Gemüse. Er nimmt ein Messer aus der Tasche und trennt die Kugel von seiner Wurzel. Mit dem Gemüse in der einen und dem Kratzer in der anderen Hand geht er zum Schuppen zurück, stellt das Gartengerät an seinen Platz und geht wieder auf das Haus zu. Neugierig folge ich ihm.
Dort, wo er vorhin gefrühstückt hat, setzt er sich wieder hin und legt den Weißkohl auf ein dickes Holzbrett. Er entfernt meine Bißspuren und schneidet ihn in ganz kleine Stücke, die er in mehrere Gläser füllt. Anschließend füllt er die Gläser mit Wasser auf, gibt etwas Salz hinzu und verschließt sie. Dann nimmt er die Deckblätter und die Schnittreste, und bringt sie draußen den Hühnern.
Zurück im Haus zeigt mir der Mann ein Apfelstückchen, und fordert mich auf:
„Na, komm! Hol es dir.“



feral persons



Sarah, die Youtuberin (9)
Erstes Video – Die Story (von Sarah erzählt)

Wölfe heulen. Ich habe schreckliche Angst. Seit ich denken kann, lebe ich mit meinen Eltern und unserer Hündin Maja auf einem kleinen Hof im Wald. Meine Eltern trinken oft ‚Wässerchen‘ -Wodka- und haben sich irgendwann nicht mehr um mich gekümmert. Maja, meine ‚große Schwester‘ hat das seitdem übernommen.
Sie hat mich beschützt, mir das Laufen auf allen Vieren beigebracht, gezeigt wovor ich mich in Acht nehmen muss, mit mir ihr Futter geteilt und gespielt. Sie ist auch jagen gegangen, damit wir genug zu essen haben. Das alles ist nun nicht mehr!
Meine Eltern haben das große flackernde Licht angezündet. Es hat immer mehr verschlungen. Maja ist bellend ins Haus gelaufen. Sie wollte bestimmt meine Eltern zur Flucht bewegen. Ich bin in panischer Angst geflohen. Nun irre ich seit Tagen durch den Wald. Ich habe großen Hunger. Jetzt sind auch noch Wölfe in meiner Nähe…

*

Was ist das? Ein Haus auf einem freien Platz im Wald! Genau wie zuhause. Aber das Haus sieht im Mondschein irgendwie anders aus, als das Haus meiner Eltern. Ich schleiche um das Haus herum. Es hat auch einen Bereich, wo essbare Pflanzen wachsen. Ich schaue hinauf zum Mond. Er leuchtet friedlich, wie immer. Vorsichtig schleiche ich näher.
Ich beuge mich über eine fußballgroße Pflanze am Boden und beiße oben hinein. Die Pflanze kenne ich. Zuhause habe ich sie von Zeit zu Zeit kleingeschnitten in einer Schüssel bekommen. Ich bleibe davor sitzen und stille meinen drängendsten Hunger.
Die Wölfe trauen sich nicht näher heran und verziehen sich bald.
Langsam dämmert es. Neugierig erforsche ich hier alles. Als ich einer Tür zu nahe komme und daran klappere, flattert dahinter ein kleines zweibeiniges Tier aufgeregt mit den Flügeln und gackert lauthals. Erschreckt laufe ich weg und verstecke mich.
Gerade rechtzeitig, denn in dem Moment sehe ich durch die Zweige des Busches, dass jemand einen Fensterladen öffnet und in den Garten hinaus-schaut. Es ist ein großer Zweibeiner, wie meine Eltern. Bald schließt er das Fenster wieder, lässt aber den Laden offen.
Das gleiche knarzende Geräusch, wie beim Öffnen des Fensterladens, höre ich nun noch ein paarmal. Dann ist es erst einmal eine Zeitlang still. Ich traue mich bald aus der Deckung, ziehe eine orange Wurzel aus der Erde, beiße das Kraut daran ab und trage sie zu einem kleinen Teich neben der eingezäunten Wiese, um sie zu waschen.
Anschließend beiße ich sie in kleine Stücke, um sie essen zu können. Sie ist hart. Ich kann immer nur kleine Stücke kauen.
Ich höre eine Tür knarzen und verstecke mich schnell wieder. Ein Mann kommt aus dem Haus und geht zu dem niedrigen Anbau. Er hat eine Metallkanne und so ein kleines graues Ding dabei. Zuerst geht er zu den Flattertieren, dann hinüber in den anderen Bereich. Neugierig schleiche ich mich auf allen Vieren näher.
Der Mann sitzt neben einem Tier mit harten Spitzen auf dem Kopf, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Er macht etwas mit den Händen zwischen den hinteren Beinen des Tieres und immer wieder schießt ein Strahl weißer Flüssigkeit in die Metallkanne. Schließlich steht der Mann auf und kommt rückwärts aus der Tür. Er zieht das Tier auch aus dem Raum und lässt es auf die umzäunte Wiese. Danach schließt er den Zaun und dreht sich in Richtung des Hauses um.
Dabei übersieht er mich, stolpert und fällt hin. Vor der umgestürzten Kanne bildet sich eine weiße Pfütze. Der Mann setzt sich auf und schaut sich um. Ich bin erschrocken zurückgewichen.
„Hallo, junge Frau!“ höre ich ihn sagen. Er hat so eine sanfte Stimme. „Hast du Hunger? Durst?“
Ich antworte, wie ich es gewohnt bin, mit einen „Wuff!“
Er macht große, erstaunte Augen, wendet sich zu der Kanne und hebt sie auf.
„Du hast Glück! Ein bisschen ist noch drin,“ meint er und schüttet es in eine Blechtasse.
„Na, komm her…“ lockt er mich.
Dabei lächelt er freundlich und hat so einen warmen Klang in der Stimme. Ich überwinde meine Scheu und nähere mich Schritt für Schritt mit meinem Mund der Tasse. Er lässt mich die noch warme Flüssigkeit trinken.
„Nun habe ich nichts mehr!“ meint er dann.
Er nimmt die kleine graue Schachtel auf, die er vorhin neben die Tür zu den Flattertieren hingestellt hat und geht auf das Haus zu.
„Wenn du möchtest, komm mit hinein!“ bietet er mir an.
Ich schaue zweifelnd zu ihm auf und kratze mich mit der Vorderpfote an der Seite. Ins Haus meiner Eltern habe ich nie gedurft. Maja und ich haben draußen gelebt und aneinander gekuschelt im Anbau geschlafen.
Er hält mir die Tür auf und sagt: „Na?“
Spontan beginne ich auf dem Boden herum zu schnüffeln und nähere mich ihm langsam und vorsichtig. An der Tür angekommen, strecke ich mich ausgiebig und schnüffele dann an der Tür.
Der Mann ist einen Schritt hineingegangen und hält mir von dort geduldig weiter die Tür auf. Es geht eine Stufe hoch. Innen vor mir geht es noch einmal fünf Stufen höher. Hinter einer Trennwand führen aber auch mehrere Stufen nach unten ins Dunkele. Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe nach oben. Dort sind rechts weitere Stufen, die noch weiter nach oben führen, und eine andere Haustür. Vor mir hängt eine Jacke an der Wand. Ein Paar Stiefel stehen darunter. Links führen zwei Türen weiter.