Eine Session (6)
„Fast richtig gemacht,“ kommentiere ich ihre Aktion. „Bist ein gutes Mädchen! Diese Aktion soll das Kommando ‚ROLL!‘ trainieren. Statt einem Halbkreis hast du es jetzt erst einmal zu einem Viertelkreis geschafft.“
Diesmal bleibt das Leckerlie aus.
Nach mehrmaligem Üben hat sie es endlich raus und erhält schließlich doch noch ihr Leckerlie.
Nun gehe ich zum Couchtisch und nehme den Kunststoffknochen auf, um ihn gleich darauf in eine Ecke des Raumes zu werfen. Dabei sage ich „HOL!“
In Ilonas Augen blitzt es kurz auf. Sie läuft zum Knochen, beugt sich hinunter und nimmt ihn mit dem Mund auf. Langsam schleicht sie näher und hält mir den Knochen hin. Ich halte die Hand unter den Knochen, sage „AB!“ und zeige ihr wieder ein Gummibärchen.
Statt mir den Knochen in die Hand fallen zu lassen, schüttelt sie den Kopf. Lachfältchen bilden sich in den Augenwinkeln. Sie macht einen Schritt rückwärts. Meine Hand schnellt vor und greift den Knochen an einem Ende.
Ilona produziert ein knurrendes Geräusch und macht noch einen halben Schritt weiter zurück. Ich lasse jedoch nicht los, und so entwickelt sich ein kleiner Wettkampf im Zerren. Nach etwa einer Minute überlasse ich ihr den Knochen und äußere mich breit grinsend:
„Du hast nicht losgelassen, nur etwas geknurrt. Das Knurren bedeutet in dieser Situation ‚MEINS!‘ Das folgende Zerren ist ein beliebtes Spiel bei Hunden. Manchmal sieht man sie dabei auch grinsen. Dass du damit einmal die Initiative an dich gerissen und getan hast, was dir in den Sinn kam, war genau richtig, mein Mädchen! So etwas mach gerne öfter! Denn ein Hund ist ein fühlendes Lebewesen und kein Roboter, der nur auf Kommandos reagiert.“
Ich schaue auf die Uhr und meine dann:
„Ich habe jetzt Hunger. Ich mache mir einen Cappu und esse dazu etwas Gebäck. Möchtest du auch Cappu, Tee oder Wasser?“
Ilona schaut zu mir auf und meint nur „Wuff!“
‚Hm,‘ denke ich und frage sie: „Wasser?“
„Wuff!“
„Okay, dann auch darin wie ein Hund! Aber ich fülle dir das Wasser in eine Trinkflasche, die ich dir zum Trinken hinhalte. Ein Schokocroissant schneide ich dir in mundgerechte Stücke und lege sie dir in eine Schale.“
Jetzt bin ich erst einmal zehn Minuten mit den Vorbereitungen beschäftigt. Schließlich bringe ich eine Thermosflasche mit Cappu und eine Trinkflasche mit Mundstück, wie sie Radrennfahrer benutzen, gefüllt mit Wasser an den Couchtisch. Danach bringe ich eine Schale mit ihrem vorbereiteten Schokocroissant und einen Teller mit Gebäck zum Couchtisch. Ihre Schale stelle ich neben die Couch, setze mich und schütte mir eine Tasse voll Cappuccino.
Nun beginne ich meine Nachmittagskaffeetafel. Zwischendurch schaue ich immer einmal nach Ilona. Zuerst beäugt sie misstrauisch ihr kleingeschnittenes Schokocroissant. Danach beugt sie die Ellbogen, um die Stücke mit dem Mund zu erreichen. Nach den ersten zwei Bissen hat sie es raus und es scheint ihr Spaß zu machen. Sie ist fast fertig, als sie zu mir aufschaut und zu fiepen beginnt. Dann folgt ein „Wau!“, worauf sie wieder fiept. Ich greife nach ihrer Flasche und schon lächelt meine Doggie. Also öffne ich die Flasche und lasse sie trinken. Danach isst sie den Rest ihrer Mahlzeit auf.
So ist Ilona früher als ich fertig. Um in Ruhe weiter essen zu können, will ich sie noch etwas mit ihrem Spielzeug beschäftigen und greife nach dem neu gekauften Knotenball. Sie erhebt sich auf alle Viere und krabbelt rund um den Couchtisch. Bevor ich ihr den Knotenball zum Spielen anbieten kann, ist sie mit einem Hüpfer neben mir auf der Couch und legt sich ab. Dabei beobachtet sie mich aufmerksam, so als frage sie sich:
‚Wie reagiert er jetzt wohl darauf?‘
Ich schaue sie lächelnd an und sage, während ich den letzten Cappu trinke:
„Das Springen auf die Couch ist ein zweischneidiges Schwert! Viele Owner, aber auch Herrchen echter Hunde, mögen das nicht! Ich schlage einen Kompromiss vor: Bei mir ist es erlaubt, bei Fremden nicht! Eigentlich solltest du auch hier vor der Couch warten, bis ich ‚HOPP!‘ sage. Wenn dein spontanes Gefühl dir sagt, dich neben mich zu legen, um Streicheleinheiten zu erlangen, ist das auch okay.
Was passiert jetzt? Ein anderes Herrchen würde dich schimpfend wieder herunterschicken, aber du hattest inzwischen die Genugtuung, es geschafft und mich in einem unaufmerksamen Moment ausgetrickst zu haben. Dafür gibt es nun natürlich kein Leckerlie oder Lob! Aber warum sollte ich es auf eine Kraftprobe ankommen lassen, oder dich gar schlagen? Das würde ein vernünftiges Herrchen auch mit seinem echten Hund nicht machen.“
Nach einer kurzen Pause frage ich sie:
„Ist es das, was du erreichen wolltest? Meine Reaktion testen? Oder wolltest du kuscheln kommen? Hunde genießen auch einmal die Nähe zu ihren Herrchen, wollen gestreichelt werden…“
Ilona nickt.
„Okay,“ sage ich, und frage: „Kennst du den Film ‚The Pet‘?“
Jetzt schüttelt sie den Kopf und schaut mich an.