Luna -13-
„Wenn du im Schwimmbad bist, ist die Schwerkraft weitgehend aufgehoben. Die Gelenke werden entlastet… Kannst du eigentlich schwimmen?“
„Nein, ich habe leider nie schwimmen gelernt. Als das in der Grundschule angeboten wurde, war ich als Rollstuhlfahrerin davon befreit. Niemand hat sich den Gedanken gemacht, wie du jetzt gerade. – Andererseits: Mein Papa arbeitet in der Binnenschifffahrt und kann auch nicht schwimmen…“
„Was??“ ruft Maik erstaunt aus und lacht über das ganze Gesicht.
„Ja,“ lächele ich zurück. „Er sagt, so tief ist der Fluss nicht. Sollte das Schiff wirklich mal untergehen, dann geht er einfach ein Deck höher und ist schon wieder auf dem Trockenen…“
„Aber – sieh es mal von der Therapieseite her. Schwimmen entlastet die Gelenke. Das kann dir jeder Arzt bestätigen! Der Rolli wird zwar immer dein wichtigstes Hilfsmittel bleiben, aber regelmäßiges Schwimmen tut dir bestimmt gut.“
„Du magst recht haben, aber ob Papa dem zustimmt? Er hat immer so viel Angst, dass mir etwas passieren könnte…“
„Er kann dich nicht dein Leben lang in Watte packen, Maus! Außerdem bin ich stets in deiner Nähe! Ich lasse dich keine Sekunde aus den Augen!“
Maik ist so süß! Ich lasse mich überreden und mache nun zweimal in der Woche Sport. An einem Nachmittag bin ich im Handballtraining der Behindertensportgruppe. An dem anderen Nachmittag gehe ich mit Maik in das Hallenbad neben dem Sportplatz. Zuhause erzähle ich nichts davon, um Mam und Paps nicht zu beunruhigen.
Maik nimmt mich im Hallenbad aus dem Rolli und trägt mich die Treppe hinunter ins Wasser. Dabei halte ich mich an Maiks Hals fest. Im Wasser lässt er mich los und hält mich mit den Händen unter dem Bauch an der Wasseroberfläche. Ich halte mich weiter an seinem Hals und er zieht mich dann durch das Wasser. Die Unsicherheit lässt mich anfangs kichern. Dadurch bekomme ich Wasser in den Mund und ich muss spucken. Er hält inne und geht mit mir an den Rand.
„Halte dich am Rand fest,“ meint er.
Zögernd lasse ich ihn los und kralle mich an den Rand.
„Versuche dich jetzt einmal hinzustellen!“
Ich berühre mit den Füßen den Boden und richte mich auf. Das Wasser ist hier nur ein Meter zwanzig tief. Es reicht mir bis zu Brust.
„Spürst du, dass du im Wasser leichter bist? Deine Hüftgelenke sind nicht so beansprucht wie an Land?“
„Ja,“ bestätige ich seine Annahme.
„Warte hier,“ meint er nun, „ich hole beim Bademeister ein Schwimmbrett.“
Dann stößt er sich vom Beckenboden ab und schwingt sich aus dem Becken. Bald darauf kommt er mit einem ovalen Brett zurück. Er kommt wieder zu mir ins Becken, legt das Brett auf das Wasser und schiebt sich mit dem Oberkörper darauf. Mit ein paar Schwimmzügen ist er neben mir.
„Siehst du, das Brett trägt dich. Leg dich mal drauf!“
Ich lasse den Beckenrand los und er drückt das Brett unter Wasser. Ich fasse es oben und er hilft mir mich darauf zu legen. Dann zieht er mich wieder eine Runde durch das Wasser. Dann sagt er:
„Mach jetzt mal Schwimmbewegungen mit den Beinen wie ein Frosch.“
Ich versuche es. Maik korrigiert mich geduldig. Danach soll ich mich höher auf das Brett ziehen und die Armbewegungen machen. Auch jetzt ist er sehr geduldig mit mir. Bis zum Turnier habe ich es geschafft, auch leidlich schwimmen zu können.

*

Bei unseren Treffen in meinem Zimmer haben wir begonnen über das Anime-Manga INUMIMI zu sprechen. Maik sagte mir, dass das nicht so ganz zu dem passt, was ich real spiele. In dem Manga geht es um drei Hunde, die zu Menschen werden und sich nun in der Menschenwelt zurechtfinden müssen.
Wenn ich aber auf allen Vieren mit Beauty spiele vergesse ich die Menschenwelt um mich herum und ich werde zu dem Tier, das ich in meiner Phantasie bin – die Corgie-Hündin LUNA aus dem Manga. Ich gehe also den umgekehrten Weg.
Aber er meint es nicht böse. Er will mir nur einen ‚Spiegel vorhalten‘ sagt er und würde gerne eine Rolle in meinem Spiel übernehmen, und zwar den des Herrchens.
Dann erklärt er mir, wie er sich die Ausgestaltung seiner Rolle vorstellt. Je mehr ich ihm zuhöre, desto neugieriger bin ich darauf, das mit ihm einmal durchzuspielen. Er sagt, dass sein Onkel in Süddeutschland Hunde züchtet und er in den Ferien schon oft beim Hundetraining dabei war. Sie würden keinen Zwang anwenden, keine Hilfsmittel verwenden, die Schmerzen verursachen, sondern mit viel Geduld, Lob und Belohnung die jungen Hunde motivieren.
Ich habe mir einige Hundekommandos erklären lassen und sie dann mit ihm durchgespielt. Das ist lustig gewesen! Beim nächsten Treffen hat er mir weitere Hundekommandos erklärt:
„Das nächste Kommando nun,“ sagt er, „heißt BLEIB. Wenn du also mit SITZ oder PLATZ einen Platz eingenommen hast, sage ich BLEIB. Dann gehe ich weg und tue etwas. Bleibst du wirklich an deinem Platz ohne aufzustehen und herumzulaufen, dann erhältst du, wenn ich zu dir zurückkomme, wieder eine Belohnung. Stehst du aber zwischendurch auf, wirst du dafür nicht bestraft. Du bist für mich ein fühlendes Wesen und dir sind vielleicht die Glieder eingeschlafen… Wenn ich also zu dir zurückkomme und du begrüßt mich stehend, dann hörst du einfach wieder das Kommando zum Hinsetzen oder Hinlegen und ich übe das Ganze noch einmal. Du wirst mich dabei schon informieren - verbal oder nonverbal - dass dir die Glieder eingeschlafen sind oder dir langweilig wurde oder was auch immer los ist.“
„Hm, und wenn ich den Schalk im Nacken habe und bloß herumzicke?“ frage ich ihn lächelnd.
„Wenn ich mir fortgesetzt Mühe gebe und du ständig etwas anderes machst? In gewissem Rahmen lasse ich das durchgehen, aber irgendwann muss ich mir dann schon sagen, dir fehlt es an Engagement, deine Rolle auszufüllen. – Und mich fragen, ob ich wohl der Richtige für dich bin…“
Ich mache ein enttäuschtes Gesicht.
„Du magst dann nichts mehr von mir wissen wollen?“ frage ich.