Luna -15-
„Hallo, Andrea. Ich wünsche euch ein paar wunderschöne Tage mit unserer Penichette!“
Er gibt mir die Hand und umarmt Maik.
„Pass‘ gut auf sie auf!“ ermahnt er ihm. Dann folgt er uns langsam.
Ich folge Maik, der längere Schritte macht, auf das Boot zu. Als ich es in der Nähe der Kaimauer allmählich überblicken kann, frage ich Maik:
„Wo ist denn vorne?“
Er dreht sich um und lächelt.
„Du meinst, hinten ist ein Boot flach – der sogenannte Heckspiegel – und vorne läuft das Boot spitz zu? Eine Penichette nicht. Hinten ist da, wo die zwei Sitze sind. Bei Regen lässt sich darüber ein Faltdach spannen. Die Kabine befindet sich im Mittelteil, wie du siehst und das Sonnendeck befindet sich vorne.“
„Ah,“ kommentiere ich seine Erklärung.
Ich steuere meinen Rolli also nach hinten, dorthin, wo ich zwei Sitze erkenne. Maik stellt sich mit einem Fuß auf das Boot und mit dem anderen auf die Kaimauer.
„Du kannst ruhig aufstehen,“ sagt er. „Ich helfe dir an Bord.“
Ich stehe also auf und mache einen Schritt auf ihn zu. Er hält mich fest. Dann fast er mit einer Hand unter meine Oberschenkel und trägt mich an Bord. Dort setzt er mich in einen der Schalensitze und geht noch einmal zurück. Sein Vater gibt ihm meine Reisetasche, die er in die Kabine trägt. Während sich sein Vater von uns verabschiedet, schiebt er meinen Rolli zusammen und schnallt in so zusammengeschoben vor den Sitzen auf dem Kabinendach fest.
Er stellt sich nun vor den anderen Sitz und öffnet ein Kästchen vor sich mit einem Schlüssel. Dann zieht er einen Hebel ganz zurück und wieder eine Winzigkeit nach vorn. Ich höre es einmal klicken. Jetzt drückt er einen Knopf unter dem Deckel des Kästchens und es ertönt ein leises Summen, verbunden mit leichtem Plätschern draußen im Wasser. Er dreht das Steuerrad vor sich von der Kaimauer weg. Das Tau mit dem das Boot hinten festgemacht ist wird locker.
Maik springt auf die Kaimauer, geht schnell zum Poller und löst dort das Tau. Er bringt es an Bord. Dann dreht er das Steuerrad wieder in Richtung Kaimauer und balanciert neben den Kabinenaufbauten nach vorne. Dort angekommen löst er das Tau von dem kleinen Poller an Bord und schwingt es aus dem Poller an Land. Er ‚schießt es auf‘ wie er mir später sagt, das heißt, er legt es in runden Schlingen sorgfältig auf das Deck vorne.
Jetzt treibt das Boot langsam von der Kaimauer weg. Er balanciert auf dem gleichen Weg zurück, sich an einer Stange, dem sogenannten ‚Handlauf‘, an der Kante der Kabinenaufbauten festhaltend. Jetzt gibt er dem Boot eine Richtung, die es wohl eine Weile in der Mitte des Kanals hält, und ‚schießt das Tau zwischen den Sitzen auf‘, mit dem das Boot hinten festgemacht war.
Dann erst setzt er sich in seinen Sitz links neben mir und schiebt den Fahrthebel einen Klick weiter vor. Das Boot wird davon nicht merklich schneller. Er öffnet eine Klappe neben sich und zieht zwei Dinger in signalrot daraus hervor.
„Das sind Schwimmkragen,“ erklärt er mir und hängt sich einen um den Hals.
Dann legt er sich einen Gurt um die Taille und klickt ihn vorne fest.
„Leg ihn dir genauso an!“ meint er. „Das ist nur zur Sicherheit.“
Ich hänge mir den Schwimmkragen auch um den Hals und befestige den Gurt.
„Der sitzt ziemlich locker,“ mache ich ihn aufmerksam.
Er zeigt mir so etwas wie eine Ratsche.
„Zieh ihn dir daran enger,“ schlägt Maik mir vor. „Aber nicht zu eng,“ setzt er lächelnd nach.
„Wie funktioniert das?“ will ich wissen.
„Wenn der Kragen mit Wasser in Berührung kommt, löst sich eine Kalktablette auf. Dadurch wird ein Schlagbolzen frei, der eine Gaspatrone öffnet. Das Gas strömt in den Kragen. Der bläht sich auf und hält deinen Kopf über Wasser. Dadurch ist der Kragen auch ohnmachtssicher,“ erklärt mir Maik.
„Was sind das hier für Pedale?“ will ich weiter wissen.
Vor den Schalensitzen befinden sich nämlich Pedale. Das Ganze sieht aus wie zwei bequeme Heimtrainer. Er lächelt und meint:
„Wenn das Lithium-Batteriepack vorne unter Deck leer sein sollte, können wir auf Pedalantrieb umschalten. Oder wir schalten die beiden E-Motoren aus und strampeln, wenn du magst?“
Ich schaue ihn mit großen Augen an.
„Hm,“ ist das Einzige, was mir dazu einfällt.
„Ich mag auch nicht gerne gegen die Strömung strampeln,“ antwortet er mir lächelnd. „Dann zieht die Landschaft zu langsam an uns vorbei – obwohl Papa da eine schöne Übersetzung eingebaut hat. Auf der Rückfahrt können wir das gerne machen – auch wenn ich alleine in die Pedale trete!“
„Okay,“ meine ich dazu. „Und wie sieht es in der Kabine aus?“
„Gleich hier befindet sich der Aufenthaltsraum,“ sagt er und zeigt auf die niedrige Tür vor meinem Sitz. „Weiter vorne liegt der Schlafraum, und von da kommst du durch genauso eine Tür nach vorne auf das Sonnendeck.“
„Wie weit fahren wir heute?“
„Alle vier Kilometer gibt es Poller zum Festmachen. Das heißt, ungefähr jede Stunde können wir uns entscheiden zu Pausieren oder zu Übernachten. Später im Naturschutzgebiet haben wir die Möglichkeit zu ankern, wo es uns gefällt, oder einen der zehn Liegeplätze am ‚Haus am See‘ zu belegen. – Das kostet aber eine Gebühr, weil sonst für die Gäste zu wenig Festmacher da sind.“
„Oh, ich hätte gerade Lust mir das Boot von innen anzusehen…“ meine ich.
„Ich verstehe deine Neugier,“ sagt er. „Ich möchte aber gerne beim ersten Benutzen des Niedergangs dabei sein, um dich eventuell auffangen zu können, falls du strauchelst. Auch, wenn ein Motorboot vorbeifährt könnte es passieren, dass du den Halt verlierst. Ich möchte nicht, dass du dir eine Beule holst. – Lass uns in einer knappen Stunde festmachen. Dann gehen wir zusammen durch das Boot.“
„In Ordnung,“ sage ich.
Ich füge mich, obwohl ich seine Fürsorge für übertrieben halte.
Nach etwas mehr als einer Dreiviertel-Stunde sehe ich tatsächlich eine kleine Reihe von Pollern auf der Kaimauer. Maik schaltet die Motoren zurück und steuert das Boot an die Kaimauer heran. Dann rubbelt die umlaufende Gummileiste unserer Penichette an der stählernen Kante der Kaimauer entlang. Zwischen zwei Pollern schaltet Maik noch etwas zurück und springt aus dem Boot. Er hat sich das Tau zwischen unseren Sitzen genommen und läuft die wenigen Meter nach vorn, um es auf den Poller zu hängen und dann an Bord festzumachen.