Luna -18-
„Knieschoner habe ich da, aber keine Lederhandschuhe…“
Er hilft mir die Knieschoner anzuziehen. Dann klettere ich im Vierfüßler-Gang auf die Kaimauer und von dort auf den Kiesweg, der beidseitig des Kanals seinem Lauf folgt. Maik verschließt die Kabine und folgt mir auf den Weg.
Wir gehen ein paar Meter den Weg entlang, dann biegt er auf die Grasfläche ab, die landseitig neben dem Weg liegt. Ich folge ihm.
Maik lässt den Lichtkegel der Taschenlampe wandern. Im Licht der Taschenlampe kann man vereinzelt wachsende Büsche und Bäume erkennen. Wir gehen darauf zu.
Nachdem wir uns ein gutes Stück vom Kanal entfernt haben, erfasst der Lichtkegel ein Tier, das zwischen zwei Büschen steht und aufmerksam zu uns herüberschaut. Maik richtet die Taschenlampe voll auf das Tier. Es sieht aus, wie ein Hund. Aber hier, wo weit und breit kein Mensch ist? Ein Streuner vielleicht?
„Wir gehen langsam an dem Tier vorbei,“ entscheidet Maik. „Wir halten aber Abstand!“
Also biegen wir etwas von der Geraden ab und gehen weiter. Das Tier hat ein rotbraunes Fell und plötzlich kann ich ein Junges unter dem Busch erkennen. Nun hilft auch das Mondlicht dabei, mehr zu erkennen.
Maik schüttelt den Kopf.
„Komm, wir gehen zurück! Ich weiß jetzt, was es ist: Eine Fähe mit ihrem Welpen. Sollte sie uns angreifen, um ihr Junges zu schützen, müssten wir die Bootstour abbrechen und einen Arzt aufsuchen.“
„Warum?“ frage ich und mache ein verständnisloses Gesicht.
„Tollwutgefahr!“ sagt er knapp und dreht um.
Ich bleibe kurz verdattert sitzen. Dann laufe ich hinter Maik her und frage ihn:
„Was ist eine Fähe?“
„So nennt man einen weiblichen Fuchs,“ sagt er.
„Eine Füchsin mit ihrem Welpen in freier Natur!“ rufe ich gedämpft aus.
So ein Erlebnis habe ich noch nie gehabt.
„Wäre dir ein Wolf lieber gewesen?“ versetzt Maik.
„Es gibt doch keine Wölfe mehr!“ antworte ich protestierend.
„Sei dir da nicht so sicher,“ meint er. „Es werden immer mal welche entdeckt, seit vor zwanzig Jahren der eiserne Vorhang in Europa niedergerissen wurde. Seit dem Atomunfall in Tschernobyl können es auch verstrahlte Rudel sein. Sie können ebenso die Tollwut übertragen.“
„Ganze Rudel!?“
Ich bin erstaunt und leicht verängstigt.
„Ja, Wölfe sind nun mal Rudeltiere. Aber Rudel haben selten mehr als ein halbes Dutzend Tiere. Wölfe sind scheu. Du könntest allenfalls einzelne Tiere sehen – Kundschafter!“
„Ich wäre jetzt schon lieber an Bord,“ meine ich und drücke mich an Maiks Bein.
Er lacht und meint:
„Keine Angst, wenn da eine Fähe einen Ausflug mit ihrem Welpen macht, wird kein Wolf in der Nähe sein. Sie hätte die Anwesenheit von Wölfen gespürt. Wölfe spüren ebenso die Anwesenheit von Menschen und halten sich versteckt. Wer sich darauf versteht, kann tagsüber allenfalls deren Spuren sehen.“
„Trotzdem…“ antworte ich.
Er streicht mir sanft über das Haar.
„Wir sind ja gleich wieder zurück!“ versucht er mich zu beruhigen.
Und wirklich, kurz darauf habe ich wieder Kies unter den Knien.
„Wir müssen ein Stück zurückgehen,“ meint Maik.
Wenig später taucht unser Boot im Lichtkegel der Taschenlampe auf. Bald darauf klettere ich an Bord und Maik öffnet den Niedergang.
Ich habe mich auf einen der Sitze gesetzt und löse die Knieschoner vom Bein. Sie stören mich beim Aufrechtgehen. Ich gebe sie Maik. Er geht zuerst nach unten. Dann nutze ich den Niedergang. Maik steht wie immer da und passt auf, dass ich keinen Fehltritt mache. Er schließt den Niedergang wieder und macht Licht. Ich wasche mir nun die Hände am Becken, während Maik schon nach vorne geht.
„Ich muss mal,“ sage ich und betrete die Nasszelle zwischen den beiden Räumen der Kabine.
Als ich herauskomme, hat Maik alle Deckenlampen gelöscht und eine kleine ‚Funzel‘ an seinem Bett eingeschaltet. Er liegt schon unter der Decke, also krabbele ich auf die Liegefläche und schlage die Steppdecke über mich. Ich drehe mich zu Maik und schaue ihn an.
„Der Ausflug hat ja nur eine halbe Stunde gedauert…“
„Ooooch,“ macht er und legt mir seinen Arm um die Schultern. „Welches ist Beautys Lieblingsplatz über Nacht? Schläft sie an ihrem Platz in deinem Zimmer oder im Flur?“
Ich lächele.
„Wenn ich morgens aufwache, liegt sie auf dem Rücken neben mir im Bett. Ich streich ihr dann oft über Brust und Bauch und sie blinzelt mich an und scheint zu grinsen,“ erzähle ich ihm.
„Okay,“ sagt er lächelnd. „Dann schläft die Luna des Nachts auch an meine Seite gekuschelt.“
Er beugt sich zu mir herüber und gibt mir einen langen Kuss, der mich atemlos werden lässt.

*

Am Morgen des nächsten Tages werde ich vom ungewohnten Tageslicht wach. Zuhause weckt mich der Wecker, der auf Musik eingestellt ist. Würde ich vom Weckton geweckt, würde der Wecker nicht lange leben. Da die Rollläden herabgelassen sind, ist es da noch stockfinster.
Hier gibt es keinen Wecker, dafür scheint die aufgehende Sonne durch die Gardinen und taucht die Kabine in ein ungewohntes Dämmerlicht.
Maik regt sich noch nicht. Also kuschele ich mich an ihn und schließe noch einmal die Augen. Bald rührt er sich, hebt den Kopf und gähnt. Dann beginnt er zart über meine Brust und Bauch zu streicheln. Ich drehe mich auf den Rücken und schaue in sein lächelndes Gesicht.