Luna -20-
Meine Aufmerksamkeit gilt nun mehr der Umgebung, als den Wolken. Wir haben den Randkanal verlassen und sind wohl schon in einem der Seen des Naturschutzgebietes angekommen. Von Zeit zu Zeit fahren wir an roten und grünen Bojen vorbei. Das eigentliche Ufer des Sees ist nur selten zu sehen. Zumeist wird es von dichtem Schilf verdeckt. Oder eine Weide lässt ihre langen biegsamen Zweige ins Wasser hängen.
Bisher sind wir zwischen den roten und grünen Bojen hindurch gefahren. Auf einmal sehe ich beide an einer Seite der Escargot und dann erschreckt mich ein Rasseln vorne am Boot. Ich schaue vorsichtig über die Bordwand und sehe, wie eine Kette aus einem ‚Bullauge‘ herauskommt. Dann ändert sich das Summen des Motors und die Kette spannt sich. Gleich darauf höre ich hinten bei Maik das gleiche Rasseln.
Ich schaue über das Kabinendach zurück und frage Maik:
„Was machst du?“
„Ich habe hier außerhalb der Fahrrinne geankert. Ich wollte dich etwas beschäftigen und dann etwas zu Mittag machen,“ antwortet er mir.
„Oh, ist schon so viel Zeit vergangen?“ frage ich und krabbele zu der Luke, um in den Salon zu kommen.
Maik steigt auch schon den Niedergang zur Kombüse herunter und kommt mir entgegen.
„Als Hündin, die im Haushalt ihres Besitzers lebt, solltest du ein paar Kommandos kennen,“ meint er augenzwinkernd. „Wir haben sie ja schon geübt, aber Wiederholungen schaden nie!“
In der nächsten halben Stunde führt er mich durch das ganze Repertoire von Hunde-Kommandos. Schließlich meint er:
„So, jetzt mache ich uns etwas zu essen.“
Er geht zurück in die Kombüse und schüttelt Backofen-Frites aus der Tüte auf ein Backblech. Dann mischt er aus Tomatenketchup mit kleingeschnittenem Paprika und Zwiebeln eine Soße und wärmt die letzten zwei Frikadellen auf, die ich gestern geknetet habe. Dazu schneidet er grünen Salat in Streifen, fügt die restliche Paprika hinzu und gibt Joghurt-Salatsoße darüber. Das Ganze vermengt er mit dem Salatbesteck in der Schüssel.
Als alles fertig ist, füllt er zwei Teller. Das Essen auf einem Teller schneidet er klein und stellt den Teller vor mich auf den Boden der Kabine, dann beginnt er zu essen. Nur ab und zu erhasche ich einen Blick von ihm, wenn ich einmal zu ihm hochschaue.
Da es für mich ungewohnt ist, mein Essen wie Beauty mit dem Mund aufzunehmen, ist Maik schon vor mir mit seiner Portion fertig. Er wartet geduldig bis auch ich gegessen habe. Nun beugt er sich zu mir herunter und reinigt mir mit einem Küchentuch den Mund. Trotzdem bleibt bei mir das Gefühl, einen schmutzigen Mund zu haben. Entsprechend enttäuscht schaue ich ihn an.
Er räumt Geschirr und Besteck in die Spüle und feuchtet den Zipfel des Spül-Handtuches an, das da hängt. Damit reinigt er mir den Mund noch einmal und trocknet mich mit einem trockenen Zipfel des Tuches ab. Jetzt ziehe ich mich zufrieden auf die Liegefläche im Salon zurück und beobachte sein weiteres Tun in der Kombüse. Er spült und stellt Geschirr und Besteck in die Schränke zurück, wo sie gegen Herausfallen gesichert sind.
Dann nimmt er eine Karte aus dem Regal, breitet sie auf dem Tisch aus und sagt:
„LUNA, ZU MIR!“
Ich steige, neugierig geworden, von der Liegefläche und nähere mich ihm.
„AUF!“ sagt er jetzt und zeigt auf die ihm gegenüberliegende Bank.
Also steige ich mit den Händen und gestreckten Armen auf die Sitzbank und schaue ihn an. Habe ich das Kommando jetzt richtig interpretiert?
Maik lächelt und deutet auf die Karte.
„Das Naturschutzgebiet hat einen hohen Freizeitwert für die Bevölkerung. Natürlich müssen viele Bestimmungen eingehalten werden, aber ein unberührtes Naturschutzgebiet sähe anders aus. Vielleicht hast du ja schon davon gehört…
Neben dem ‚Haus am See‘ gibt es noch zwei Camping- und Caravanplätze. An einem davon fahren wir gleich vorbei. Dann biegen wir in einen Nebenarm ein, wo ich deine Hilfe brauche. Dort bleiben wir über Nacht. Morgen fahren wir bis zum ‚Haus am See‘, essen da und machen uns dann langsam auf den Rückweg.“
Während er das sagt, zeigt er mir auf der Karte, was er anspricht, und schaut mich dann offen an.
„Okay,“ antworte ich und frage: „Wie kann ich dir helfen?“
„Wenn wir gleich losfahren bist du wieder Andrea und sitzt neben mir. Wir radeln ohne Motor am Campingplatz vorbei. Damit erregen wir bestimmt Aufmerksamkeit - und niemand kann sagen, er hätte eine Motoryacht gesehen. So fahren wir dann auch in den Seitenarm hinein. Dort gehe ich aber mit einer Stange nach vorne und lote die Wassertiefe aus. Du radelst dann alleine und steuerst, wie ich es dir sage.“
„Okay,“ wiederhole ich mich und nicke ihm zu.
Dann hilft er mir den Niedergang zum Achterdeck hoch und kommt nach. Oben drück er einen Knopf und es beginnt wieder zu vibrieren und zu rasseln. Maik schaut hinten über die Bordwand, also schaue auch ich neugierig nach draußen.
Die Kette kommt langsam wieder hoch und bald erkenne ich den Anker im Wasser. Maik dreht sich schnell um und stoppt die Winde, dann dreht er mit einem langen Haken die ‚Ankerflunken‘ herum und sagt zu mir:
„Schaltest du bitte wieder ein?“
Ich drehe mich um und drücke auf den Knopf. Wenige Sekunden später erstirbt das Geräusch der Winde mit einem letzten „KLACK“. Maik schaltet die Winde aus. Jetzt hangelt er sich auf dem Gangbord nach vorne und gibt mir von dort Anweisungen:
„Stell den Fahrthebel auf ‚Neutral‘ und schalte die Elektromotoren ein.“
Dann:
„Jetzt den Fahrthebel ein Tick nach vorn. Halte das Steuer fest und drück den Knopf für die Ankerwinde vorn.“