Nicci (8)
Wenige Minuten später parkt er im Parkhaus des Einkaufszentrums. Wir gehen in die überdachte Flaniermeile, an deren Rand sich ein Geschäft an das andere reiht. Bald haben wir die Schaufenster einer Tierzubehör- und Tiernahrungshandlung erreicht. Vorhin im Parkhaus hat er eine blaue Mappe hervorgeholt, in der sich gelbe Kreide, ein Maßband und verschiedene andere Dinge befinden. Das sei eine Unfallmappe, hat er mir erklärt. Mit dem Maßband hat er mir dann meinen Halsumfang locker gemessen, und mit diesem Maß im Kopf betreten wir nun das Geschäft.
Peter lässt mich aus dem Angebot ein ledernes Halsband in meiner Lieblingsfarbe auswählen. Er kauft dazu noch eine feingliedrige Kette mit Lederschlaufe an dem einen und Karabinerhaken an dem anderen Ende. Dann schauen wir uns noch verschiedene Transportkäfige an. Dabei bekomme ich große Augen und ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Ich halte mich nicht lange in dieser Abteilung auf und Peter beeilt sich an meiner Seite zu bleiben. Kurz darauf sind wir wieder vor der Ladentür und wir gehen weiter an den Schaufenstern entlang.
Einige Minuten später wird der Weg schmaler, weil der Raum durch Caféhaustische belegt ist.
„Komm, wir setzen uns,“ fordert mich Peter auf.
Kurz darauf bestellen wir ein Stück Obstkuchen und einen Kaffee für jeden. Als man uns das Bestellte gebracht hat und wir wieder alleine sind, frage ich Peter:
„Der Transportkäfig… muss das wirklich sein?“
„Später, Nicci,“ antwortet er beruhigend. „Ich wollte mich nur über die hiesigen Preise erkundigen. Wenn ich dich gleich mit dem kompletten Accessoire konfrontiere, schrecke ich dich womöglich ab! Finde dich erst einmal richtig in die Rolle hinein. Das dauert individuell mal schneller, mal länger… Ohne großes Vertrauen zu mir, wirst du sicher nicht in einen Käfig steigen! Auch wenn das nur für die Dauer einer Autofahrt wäre…“
„Ich bin da etwas zurückhaltend…“ spreche ich meine Gefühle ‚durch die Blume‘ aus und schaue Peter zweifelnd an.
Er zieht seine Stirn in Falten und schaut mir in die Augen.
„Nicci, was du nicht magst, passiert auch nicht! Du musst mir einfach deine Gefühle offenbaren! Ich zwinge dich zu nichts.“
„Meine Gefühle hier, meine Gefühle da…“ flüstere ich und lege meine Hand auf seine.
„Ja,“ sagt er einfach. „Ich kann zum Einen keine Gedanken lesen. Zum Anderen ist Petplay im Allgemeinen und Dogplay im Besonderen immer noch ein weites Feld. Ich gebe dir Anstöße, sage dir, was alles möglich ist – und du sagst und/oder zeigst mir was du dir davon für dich nicht vorstellen kannst. Das verfolge ich dann auch erst einmal nicht weiter!“
„Erst einmal…“ wiederhole ich ihn.
„Ja, nimm zum Beispiel den Transportkäfig. Dazu ist hohes Verantwortungsbewusstsein meinerseits und großes Vertrauen deinerseits nötig! Sonst geht das nicht. Wenn es dir also jetzt unmöglich erscheint, kann sich das später anders darstellen.
Anderes, wie die auf Angst vor Strafen basierende Erziehung werde ich niemals anwenden! Schon allein, weil ich selbst kein Anhänger davon bin. Ich wende die Motivation mittels Lob und Belohnung im Training an, wie es heute auch die Hundeschulen bei echten Hunden anwenden.“
„Deswegen habe ich mich auch mit dir getroffen,“ bestätige ich ihm. „Ich mag auch keine Schläge, werde dabei nicht feucht, wie das einige im Internet berichten.“
„So fügt sich eins auf’s andere,“ antwortet er mir. „‘Gleiches gesellt sich zu Gleichem,‘ sagt man.“
„Was brauche ich denn sonst noch für Accessoires?“ setze ich gleich nach.
„Sollten auf einem Event nur Pets in Lack-, Leder-, Latexkostümen auftreten, oder in Kunstfell, dann wäre ein Overall gut – mit verstärkten Kniegelenken. Sagen wir aus Stoff mit Kunststoff-Knieschonern… Spezialschuhe und Pfotenhandschuhe vervollständigen dein Outfit. Auch gibt es metallene Halsreifen, die im Alltag wie Schmuck aussehen würden. Hundeschweife aus Roßhaar, nicht aus Latex, an deinem Outfit befestigt oder per Plug kämen hinzu, falls du das magst… Das wäre es im Grunde schon.“
„Und wenn ich mit dir alleine bin?“ frage ich ihn nun.
„Du musst dich nicht äußerlich in ein Doggie verwandeln, es sei denn, du brauchst das, um ins Dogspace zu rutschen. Unter vier Augen reicht eigentlich schon der Vierfüßler-Gang!“
„Was ist denn das Dogspace?“ will ich den neuen Begriff erklärt haben.
„Ich erkläre dir das einmal mit der Aussage, die ein anderer Doggie letztens getroffen hat,“ antwortet mir Peter bereitwillig. „Er sagte, sobald er auf allen Vieren ist, verändert sich seine Wahrnehmung. Gespräche unter den anwesenden Zweibeinern bekommt er zwar noch mit, aber den Inhalt nimmt er nicht mehr auf. Ihm wäre nur noch wichtig, dass seine Grundbedürfnisse befriedigt werden, dass er die Zuwendung erhält, die ein fühlendes Lebewesen nun einmal braucht.
In der Rolle nimmt er Räume anders wahr. Zweibeiner wirken auf ihn sehr groß. Möbel erschlagen ihn gefühlsmäßig. Andere Doggies sind für ihn Artgenossen mit denen er nonverbal kommuniziert. Hinter der Beschreibung fühlst du vielleicht ein großes Vertrauen zu seinem Herrn. Ins Dogspace kommst du also nicht allein, indem du einfach auf alle Viere gehst und die Welt aus der neuen Perspektive anschaust.
Du musst dich vertrauensvoll in der Rolle ‚fallenlassen‘ können. Je mehr Vertrauen du zu mir hast, desto eher klappt das. Vertrauen ist ein Gefühl, das Zeit braucht zum Wachsen. Du musst also offen sein und dir Zeit lassen. Dasselbe mache ich auch. Ich dränge dich nie! Das wäre kontraproduktiv! Du solltest einfach dein ‚inneres Tier‘ herauslassen, dir denken ‚der Hund in mir darf einfach sein‘! Du wirst sehen, wenn du eine gewisse zivilisatorische Scham überwunden hast, fühlt sich das gut an!“
„Hm,“ mache ich. „Und noch ein anderer Begriff: die ‚nonverbale Kommunikation‘, was ist das?“
„Die ‚nichtstimmliche Verständigung‘ auf Deutsch gesagt,“ erklärt mir Peter jetzt. „Da Hunde nicht reden können, verständigen sie sich über Gestik und Mimik. Die Mimik der Caniden – der Hundeartigen – kannst du kaum nachahmen: Du kannst weder deine Ohren verstellen, noch den Schwanz aufstellen oder zwischen die Beine klemmen. Aber die Gestik, keine Sorge, die bringe ich dir allmählich bei.“
Ich lehne mich spontan bei Peter an und umfasse seine Brust mit dem freien Arm. Das quittiert er, indem er mir den Arm um die Schultern legt und seine Wange kurz an meinen Kopf legt.
Bald sitzen wir vor leeren Tellern. Wir stehen also auf. Peter zahlt drinnen im Cafe, dann gehen wir zum Auto zurück und fahren zu mir nachhause. Unterwegs jagen sich die Gedanken in meinem Kopf. Keiner lässt sich wirklich fassen und ausformulieren. Erst als wir auf den Parkplatz hinter dem Wohnblock fahren, indem mein Appartement liegt, kann ich wieder etwas sagen.
„Ich fühle mich bei dir geborgen, Peter, und dein Faible, das Petplay, interessiert mich sehr. Vor allem, weil du es so einfühlsam und mit viel Geduld angehen willst… Wie stellst du dir aber die Gestik und Mimik von Hunden bei Doggies vor?“