Nicci (14)
„Dann ziehe ich mich aus!“
Er lächelt und geht zurück in die Wohnung, um kurz darauf mit meiner Reisetasche zurück zu kommen. Ich ziehe mich aus und, während er meine Sachen in der Reisetasche verstaut, die Knieschoner wieder an. Dann gehe ich auf allen Vieren zum Heck des Wagens und schaue Peter erwartungsvoll an. Er geht noch einmal zurück in den Flur und kommt kurz darauf mit Lederhandschuhen zurück.
„Pfotenfäustlinge habe ich noch keine, also müssen die hier erst einmal herhalten!“ erklärt er.
Er übergibt mir die Handschuhe und stellt meine Reisetasche neben den Transportkäfig, nachdem er die Heckklappe geöffnet hat.
„Ballerinas, oder anderes für die Zehen, habe ich jetzt auch noch nicht. Wir müssen also improvisieren und die Sache langsam angehen lassen – trotz deinem Sprung ins kalte Wasser! Aber das mache ich schon.“
Dann öffnet er den Transportkäfig und legt seine flache Hand auf den Boden der Ladefläche und sagt „HOPP!“
Ich steige also vorne hoch, stelle meine ‚Vorderpfoten‘ auf die Ladefläche und krabbele hoch bis ich auf allen Vieren quer unter der Heckklappe stehe, um dann rückwärts in den Transportkäfig zu kriechen. Peter streicht mir zärtlich durch mein Haar und sagt mit sanfter Stimme:
„Leg dich ruhig zusammen gekauert auf deine Seite.“
Nachdem ich das gemacht habe, streicht er mir sanft über meine Wange und schließt erst die Käfigtür und die Heckklappe; schließlich setzt er sich hinter das Steuer, wie ich hören kann. Anschließend ertönt ein helles schleifendes Geräusch und in der Garage wird es hell. Als Peter losfährt kann ich sehen, dass das Garagentor hochgefahren ist. Bevor wir auf die Straße einbiegen sehe ich noch, dass es selbsttätig wieder herunterfährt.
Danach fährt Peter durch mehrere Ortschaften bis er eine Schnellstraße erreicht. Nach einer kleinen Ewigkeit biegt er davon wieder ab und kurz darauf hält das Auto an. Ich bin schläfrig geworden. Den letzten Teil des Weges habe ich daher nicht mehr bewusst mitbekommen. Als Peter jetzt anhält und den Motor ausmacht stemme ich mich hoch, damit ich mich umschauen kann. Ich stelle fest, dass wir das einzige Fahrzeug auf einem Waldparkplatz sind.
Inzwischen ist Peter ausgestiegen und hat Heckklappe und Käfigtür geöffnet. Ich schaue unter schweren Augenlidern zu ihm auf. Das reizt ihn wahrscheinlich zum Lachen. Er beugt sich zu mir in den Käfig herunter, nimmt meinen Kopf in seine Hände und gibt mir einen Kuss.
„Hast du unterwegs geschlafen?“ fragt er. „Wir sind da. Steig vorsichtig heraus. Der Bodenbelag ist hier aus Schotter, damit sich bei Regen keine tiefen Löcher bilden wegen durchdrehender Reifen…“
Ich beherzige seinen Rat und bin froh, dass ich seine Knieschoner und die Lederhandschuhe angezogen habe. Er klickt den Karabinerhaken einer Leine an meinem Halsband fest und legt sich die Schlaufe um sein Handgelenk. So führt er mich auf die Bäume zu.
Die hochgewachsenen Kräuter teilen sich bald und geben einen Waldweg mit zwei tiefen Reifenspuren frei. Hier und da hat sich darin Regenwasser in einer Pfütze gesammelt. Moos und vereinzelte niedrig wachsende Pflanzen bedecken den Weg. Nach zehn Minuten erreichen wir eine Weggabelung an der uns eine etwa ein Meter hohe Sandsteinskulptur einer sitzenden Frau mit Katzenkopf entgegen schaut.
Ich verhalte im Schritt. Peter bleibt stehen und schaut zu mir zurück. Ich lasse ein leises Knurren vernehmen, ein Mittelding zwischen ‚Ch‘ und rollendem ‚R‘, und schaue die Skulptur an, die größer ist als ich auf vier Beinen. Peter folgt meinem Blick und lacht leise.
„Hier in der Nähe – wenn wir dem Weg rechts folgen – liegt ein Künstlerdorf mitten im Wald. Die Häuser, oder besser Hütten, haben große Ähnlichkeit mit den Häusern der Schlümpfe in dem Comic. Das Dorf wurde nach dem Krieg von Obdachlosen gegründet, deren Häuser in den umliegenden Orten zerbombt worden sind. Eigentlich sollten die Hütten, die keinen Bau- und Brandschutzbestimmungen entsprechen, schon nach wenigen Jahren abgerissen werden. Dann aber sind dort Künstler eingezogen und haben Ateliers gegründet…
Wir folgen aber der Abzweigung nach links!“ erklärt er mir und schlägt den Weg nach links ein.
Ich folge ihm und nach weiteren zehn Minuten liegt eine größere Wasserfläche vor uns. Die Bäume treten zurück und machen einem schmalen Sandstrand Platz. Am Horizont in allen Richtungen sind wieder Bäume zu sehen und dahinter ferne Bergkuppen.
„Dies ist ein See. Wir könnten über den Sand wandern und ihn so umrunden, aber das macht eher Wanderern Spaß. Ich denke, wir machen hier Rast und dann darfst du dich frei bewegen – austoben. Danach gehen wir zum Auto zurück und sind zum Mittagessen wieder zuhause.“
Peter setzt sich auf eine Baumwurzel am Rand der Vegetation und packt etwas zum Essen aus und die Saugflasche. Er beginnt zu essen und lässt auch mich abbeißen. Zwischendurch trinkt auch er aus der Flasche und lässt mich ebenfalls daraus trinken.
Dann merkt er auf. Man sieht richtig, dass ihm etwas eingefallen sein muss.
„Nicci,“ spricht er mich an. „Stell‘ dich mal auf alle Viere hin und drück‘ die Knie durch.“
‚Was wird das jetzt?‘ denke ich mir und tue, was er sagt. Nun stehe ich mit in den Himmel gestrecktem Hintern da.
„Stell‘ die Füße weiter auseinander, die Hände näher zusammen,“ kommt seine nächste Anweisung.
Auch das mache ich.
„Na, so nah brauchen die Hände nicht nebeneinander sein,“ meint er nun. „Jetzt heb‘ die Fersen an und beuge gleichzeitig die Knie! Aber die Knie berühren nicht den Boden! Deine Unterschenkel sind im Idealfall parallel zum Boden, genauso wie dein Rücken. Komm ruhig mit den Händen etwas vor…“
Ich probiere so zu stehen, wie er es gesagt hat.
„Du spürst jetzt bestimmt ein Ziehen in den Muskeln,“ nimmt Peter richtig an. Dann erklärt er: „Wenn du als Doggie in Bewegung bist, dann so! Bleibst du stehen, kannst du gerne wieder auf die Knie gehen, genauso später beim Kommando SITZ. Dann gibt es noch das beliebte Spiel APPORTIEREN. Damit du schnell bei dem geworfenen Gegenstand bist und ihn schnell wieder zurückbringen kannst, kommst du dafür in den Zweifüßler-Stand und läufst los, bückst dich nach dem Gegenstand und kommst auf zwei Beinen zurückgelaufen. Du gibst den Gegenstand ab und gehst dann wieder in die SITZ-Position.“
Er bückt sich nach einem Zweig, bricht einige Verästelungen ab und halbiert ihn, dann zeigt er ihn mir und wirft ihn ein Stück den Strand entlang. Ich starte wie ein Hundert-Meter-Läufer aus der hockenden Stellung, laufe dorthin, wo der Zweig auf dem Sand liegt und bringe ihn wieder zurück. Dabei trage ich ihn in meiner rechten Hand. Ich gebe ihn Peter zurück und kauere mich wieder in die SITZ-Position, wie er vorhin gesagt hat.
„Das hast du wunderbar gemacht, Nicci!“ lobt er mich und erhebt sich. „Komm, wir gehen ein paar Schritte auf und ab, in der Art wie ich eben gesagt habe.“
Ich mache mich also auf, an Peters Seite, hebe meine Knie vom Boden und gerate mehr als einmal mit den Knien an meine Arme. Nach ein paar Schritten dreht Peter um und sagt, während wir auf unserer Spur im Sand zurückgehen:
„Du musst die Beine etwas breiter machen, damit die Knie dich nicht ständig behindern, und die Hände näher beieinander halten. Das braucht Übung, ich weiß. ‚Noch ist kein Meister vom Himmel gefallen,‘ sagten schon die Alten.“