Reiko -2-
Direkt daneben liegt ein Sandplatz, auf dem er jetzt mit mir zu trainieren beginnt. Ganz in die Rolle der Uma-onna -Pferdefrau- versunken, mache ich was er mir sagt. Ich spüre förmlich, wie er hinter seiner Gesichtsmaske lächelt. Anscheinend ist der Kami sehr zufrieden mit mir, auch wenn er ohne Weiteres meine Handlungen lenken könnte, als wäre ich eine Puppe.
Ich habe während des Trainings jedes Zeitgefühl verloren. Was ich hier auf dem Sandplatz übe, hat alle Elemente eines Dressurtrainings. Irgendwann umhüllt mich wieder dieser Nebel. Die Silhouette des Samurai neben mir verschwimmt und ich sinke sanft zu Boden.
Ich werde wieder bewusstlos. Irgendwann höre ich Stimmen und schlage die Augen auf. Der Shinto-Priester kniet neben mir und hat sich über mich gebeugt. Er murmelt Gebete und streicht mit einem Kräuterbüschel über Stirn und Wangen. Nun hilft er mir auf. Meine Haare sind wieder an ihrem Platz und meine Kleidung bedeckt wieder meinen Körper!
Ich verbeuge mich tief und übergebe ihm meine Geldtasche mit dem Rest meines Bargeldes. Anschließend mache ich mich auf den Heimweg.
Zuhause angekommen, ziehe ich meine Schuhe aus, stelle sie an der Haustür in ein Regal und ziehe dort meine Pantoffeln an. Ich sage laut:
?Tadaima -Ich bin Zuhause-!?
Mama kommt aus der Küche, lächelt froh und antwortet:
?Okaeri -Willkommen zurück-.?
Ich berichte der ehrenwerten Mama von meinem Erlebnis ? oder war es ein Traum? ? in dem Schrein unserer Ahnen. Sie macht mir etwas zu Essen und sagt, dass ich auf die Rückkehr meines ehrenwerten Otou-San -Vaters- warten soll. Sie macht ein sorgenvolles Gesicht.
Ich warte in meinem Zimmer auf ihn. Am Nachmittag fährt sein Auto vor und er kommt herein. Nachdem auch er gegrüßt und Mama ihn willkommen geheißen hat, setzt er sich an den Tisch und Mama schenkt ihm in einer kleinen Zeremonie Tee aus.
Nach einigen Minuten nähere ich mich ihm respektvoll. Er sieht mich kommen und wartet, bis ich mich vor ihn auf den Boden gekniet habe. Ich setze mich auf meine Fersen und beuge meinen geraden Oberkörper tief in seine Richtung.
?Was hast du zu berichten?? fragt er mich.
Ich halte meinen Blick gesenkt und erzähle ihm von der Begegnung mit unserem Ahnen und meiner Rolle als Uma-onna -Pferdfrau- im Traum. Mein ehrenwerter Vater nickt während meiner Geschichte mehrmals.
?Du weißt, dass du Buße tun musst, für deinen ausschweifenden Lebenswandel! Der Kami hat dir deine zukünftige Bestimmung gezeigt. Ich denke, in den nächsten Tagen wirst du zu einem Pferdehof fahren, um dort deine Tätigkeit aufzunehmen.?
Wieder beuge ich mich tief vor meinem Otou-San -Vater-. Anschließend verlasse ich ihn respektvoll und gehe zurück auf mein Zimmer. Ich werde also meine Tätigkeit als Model beenden und auf einem Uma bokujo -Pferdehof- arbeiten. Ich mag Tiere, und ganz besonders die majestätischen Pferde! Die Arbeit wird sicher nicht leicht. Die Gerüche sind andere, als die ich bisher gewohnt bin. Aber das Wort des Otou-San -Vaters- ist bei uns Gesetz!
*
Am Nachmittag des nächsten Tages hält ein Geländewagen vor dem Haus meiner ehrwürdigen Eltern. Meine Mutter benachrichtigt mich mit sorgenvoller Miene:
?Wir haben Besuch von zwei Herren, die wegen dir hier sind, Reiko-chan!?
Ich schiebe das Brettspiel beiseite und erhebe mich, um der ehrenwerten Mama zu folgen. Als wir das Zimmer betreten, in dem die Herren beim Tee sitzen, verbeuge ich mich tief und warte, dass sie mich ansprechen. Der ältere Herr schließlich, richtet sein Wort an mich:
?Konnichiwa -guten Tag-, du bist Reiko-chan??
Ich nicke und antworte:
?Aisatsu -Ich grüße- die Herren! Ja, ich bin Reiko.?
Die Herren schmücken einige Tattoos. Der Sprecher nickt lächelnd und erklärt:
?Dein ehrenwerter Otou-San -Vater- hat uns telefonisch angesprochen. Er sagt, dass du dich freust, eine Uma-onna -Pferdfrau- zu werden, Reiko-chan.?
Ich nicke wieder und lächele die Herren an.
?Also, wirst du mit uns kommen, auf unseren Uma-bokujo -Pferdehof-??
Ich strahle die Herren an und nicke noch einmal.
?Hai -Ja-, das will ich.?
Die Männer nicken lächelnd und erheben sich. Ich folge ihnen zur Haustür, wo wir uns die Schuhe anziehen. Die ehrenwerte Mama ist uns gefolgt. Nun will ich mich von ihr verabschieden. Dabei sehe ich Tränen in ihren Augen. Also nehme ich sie kurz in den Arm.
Die Männer treten vor die Tür und entschuldigen sich höflich:
?O-jama shimashita -Ich habe gestört-.?
Sie gehen auf das Fahrzeug zu. Ich folge ihnen. Der ältere Mann öffnet mir die Fondtüre und lässt mich einsteigen. Ich bedanke mich höflich und verbeuge mich leicht, als ich sitze. Der Mann setzt sich nun auf den Beifahrersitz vor mir. Der jüngere Mann sitzt schon auf dem Fahrersitz und startet nun den Motor.
Während der folgenden Fahrt verliere ich allmählich mein Zeitgefühl. Nachdem wir meine Heimatstadt verlassen haben, beschleunigt der Fahrer auf dem Highway. An dessen Rand ziehen nun Felder und Wiesen vorbei, auch einige kleine Wälder. Irgendwann fahren wir vom Highway herunter. Kleine Wälder und Wiesen mit einzelnen Bäumen sind nun rechts und links der Straße zu sehen.
Ich bin gespannt, was mich auf dem Pferdehof erwartet. Lange kann die Fahrt eigentlich nicht mehr dauern. Dann biegen wir auf eine Nebenstraße ab. Bestimmt sind wir bald am Ziel. Ich freue mich schon auf die Arbeit mit den Pferden.
Am Straßenrand voraus sind mehrere Gebäude zu erkennen mit einer hohen Hecke und einem Tor zur Straße hin. Der Wagen wird langsamer. Durch die Frontscheibe zwischen den beiden Männern hindurch kann ich erkennen, dass sich das Tor öffnet. Wir fahren auf einen kleinen Sandplatz. Mit einem leisen Knirschen rutschen die Reifen noch ein paar Zentimeter über den sandigen Untergrund.
?Da sind wir,? meint der ältere Mann und schaut sich lächelnd zu mir um.
Aufgeregt versuche ich etwas draußen zu erkennen, doch bis auf die Gebäude ist nichts zu sehen. Die Männer steigen aus und der ältere Mann öffnet mir die Fondtüre.
hrpeter am 03. Juni 21
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