Mittwoch, 16. Juni 2021
Reiko -15-
Genau das ist kurze Zeit, nachdem wir unser Training gewechselt haben, schon einmal geschehen. Für ein paar Tage hat Hiko noch einmal Springtraining gemacht. Danach ist Watanabe-San mit Osawa-San und Hiko für einen Tag unterwegs gewesen.
Am Abend ist Hiko erschöpft und glücklich in der Box neben mir angekommen. Watanabe-San hat selbst die graue Turnierschleife an der Zwischenwand angebracht. Hiko hat im Turnier den zweiten Platz geholt! Ich freue mich für meine Stallgenossin und fühle mich angespornt, ebenfalls auf einen Treppchenplatz hinzuarbeiten.
Nun bin auch ich zu einem Springturnier angemeldet. Nervös fiebere ich dem Tag entgegen. Osawa-San achtet streng auf meine Haltung beim Absprung. Vieles weiß ich durch die Beobachtung von Hikos Training und versuche, es der Trainerin recht zu machen.
?Sei nicht so nervös, Reiko! Du schaffst das! Du bist genauso gut wie Hiko. Beim Turnier kommt es nur noch darauf an, wer die wenigsten Fehler während der Wertung macht!?
Anschließend schickt sie mich in den Trainingsparcours auf unserer Koppel. Einige kleinere Hindernisse schaffe ich ohne Probleme. Dann kommt der Hoch-Weit-Sprung. Vier Pfosten stehen dort, auf denen vier Stangen waagerecht aufliegen. Je ein Paar Pfosten stehen einen halben Meter hintereinander.
Schwer trifft mein Huf auf den sandigen Boden, verursacht dabei das dumpfe Geräusch und bietet mir festen Stand, bevor er schwungvoll nach oben gezogen wird. Mein Knie schnellt bis zur Hüfte hinauf, bevor es sich für den nächsten Schritt wieder senkt.
Mein Blick ist starr auf die Aufbauten gerichtet, die schnell näherkommen. Mit hohem Tempo steuere ich frontal auf das Hindernis zu. Noch ein paar Mal donnern meine Hufe über den Sand, der nach allen Seiten wegspritzt. Ein letzter Schritt noch, stoße ich mich ab und öffne die Beine weit, das eine hoch nach vorne, das andere nach hinten auf Höhe meines Hinterns.
Ich passiere die Stangen. Mein Huf taucht nach unten, sucht den Boden. Gleichzeitig spüre ich einen Kontakt an meinem anderen Huf, und mit einem lauten Geräusch reiße ich eine der oberen Stangen aus der Halterung. Nun misslingt auch noch die Landung. Ich verliere das Gleichgewicht und stürze zu Boden.
Meine rechte Schulter fängt die größte Wucht des Sturzes auf, Sand spritzt auf und ein Keuchen verlässt meinen Mund, während des Aufschlages. Osawa-San kommt zu mir gelaufen. Sie wirkt sehr besorgt.
Ich bewege meine Beine ein wenig und stelle fest, dass ich mir anscheinend nicht weh getan habe. Meine Trainerin hilft mir sanft wieder auf die Beine und klopft den Sand von meinem Körper. Sie schaut sich meinen Körper genauer an und kommt zu dem Schluss, dass mir nichts weiter passiert ist.
?Das kommt davon, wenn du unaufmerksam bist, Reiko. Sei bitte weniger nervös! Glaube an dich, an dein Können! Du hast es doch schon einmal unter Beweis gestellt!? meint sie.
Ich schnaube kurz. Danach nehme ich die Hürde ein zweites Mal. Diesmal ist Osawa-San und auch ich mit mir zufrieden. Nachdem wir den Parcours beendet haben, bringt sie mich zurück in meine Box.

*

Als ich am nächsten Morgen wach werde, bin ich schon zweimal in der Nacht auf gewesen. Entsprechend übernächtigt fühle ich mich. Ich erhebe mich und gehe zum Wassertrog. Dort senke ich mein Gesicht in das kühle Nass, um klarer denken zu können, und schüttele danach die Wassertropfen ab.
Kurz darauf betritt Osawa-San, meine Trainerin, den Stall und kommt leise auf mich zu.
?Ohayo gozaimasu -Guten Morgen-, Reiko,? flüstert sie, um die anderen Uma-onna nicht zu wecken. ?Na, wie hast du geschlafen??
Ich schnaube leise und schaue sie zweifelnd an.
?Du brauchst nicht nervös sein! Du hast viel trainiert. Gib einfach dein Bestes und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Okay??
Wieder schnaube ich leise und schaue sie an. Sie hat einen kleinen Eimer dabei, den sie in den Futtertrog ausleert.
?Jetzt gibt es erst einmal Frühstück!? sagt sie. ?Danach sieht die Welt gleich ganz anders aus!?
Ich senke den Kopf über den Trog und beginne, etwas lustlos, zu frühstücken.
Osawa-San entfernt sich wieder und sagt: ?Ich hole dich gleich ab.?
Leise schnaubend schaue ich hinter ihr her und senke den Kopf wieder in den Trog. Mit meinen Gedanken bin ich schon auf dem Wettkampffeld.
Bald nähern sich wieder Schritte. Meine Trainerin ist zurück und streift mir mein Zaumzeug über den Kopf.
?Gut, dann lass uns mal aufbrechen!? meint sie, als sie damit fertig ist und befestigt eine kurze Führleine an einem der beiden Metallringe.
Draußen empfängt mich ein kühler Morgen. Die Sonne malt einen wunderschönen Sonnenaufgang an den Horizont. Die kühle Luft einatmend, spüre ich, wie mich die Müdigkeit schlagartig nachlässt. Osawa-San führt mich zum Gespann aus Geländewagen und Pferdeanhänger.
?Da seid ihr ja!? begrüßt uns der Shujin. ?Saikin dou -Alles klar soweit-??
Er steht neben der heruntergelassenen Rampe des Anhängers und übernimmt die Führleine von meiner Trainerin. Drinnen betrete ich meine Box. Das Prozedere ist mir ja inzwischen bekannt. Auch der Shujin gibt mir einen guten Rat mit auf die Fahrt. Danach schließt er die Tür der kleinen Box und klappt die Rampe von draußen hoch. Kurz darauf beginnt die Fahrt.
Irgendwann biegt das Gespann ab und kommt kurz darauf zum Stehen. Einige Sekunden später wird der Anhänger geöffnet und meine Trainerin taucht vor der Box auf, um deren Tür zu öffnen.
?Jetzt hast du es bald geschafft,? meint sie lächelnd und führt mich an der Leine aus dem Anhänger. Sie macht einen zuversichtlichen Eindruck auf mich.
Kaum bin ich ins Freie getreten, spüre ich wieder die typische Stimmung eines Wettkampfes. Auch hier stehen mehrere Gespanne auf dem gepflasterten Parkplatz. Einige andere Uma-onna -Pferdfrauen- sind zu sehen, die sich nervös und aufgeregt umschauen. Deren Trainer reden ihnen gut zu. Andere Sportbegeisterte unterhalten sich angeregt miteinander.
Watanabe-San ist auch jetzt nicht zu sehen. Er wird auch heute zuerst zur Wettkampfleitung unterwegs sein, um meine Startnummer zu erfahren.
Als er zurückkommt, sagt er, dass ich im letzten Drittel starte. Anschließend kümmert sich Osawa-San um mein Aussehen. Meine Mähne wird mit einer Creme eingerieben und mit einer Bürste bearbeitet bis sie schön aufrecht steht. Auch mein Schweif wird vorsichtig durchgebürstet.