Loonas "Schwester" -6
Als Andrea aufschaut - sie hat sich gerade über die Häppchenplatte gebeugt - und mich erblickt, lässt sie ihr Glas fallen. Es zerspringt an der Kante des Couchtisches. Rino jault kurz auf und entfernt sich in eine Ecke des Raumes. Maik erhebt sich rasch und holt einen Lappen, Besen und Handfeger aus der Küche.
"Das ist mir so peinlich," flüstert sie kleinlaut und mit erschreckter Miene.
"Ach was, nicht so schlimm," beschwichtige ich. "Den Schock habe ich doch sicherlich provoziert."
Inzwischen sitze ich wieder im Rolli und warte, bis Maik die Scherben weggeräumt und Andrea ein neues Glas hingestellt hat. Dann rolle ich näher und reiche ihr über den Couchtisch hinweg die Hand.
"Ich bin Laura. Schön, dich kennenzulernen."
"Hallo Laura," begrüßt mich nun auch Alex.
Wir sind locker drauf an diesem Abend. Auch Andrea amüsiert sich, nachdem sie sich an mich gewöhnt hat. Immer wieder schaut sie Alex auf eine Art an, die deutlich macht, dass nicht nur er in sie verliebt ist.
Andrea steigt in meiner Achtung, als sie offen zugibt:
"Alex hat mir gesagt, du benimmst dich auch in der Öffentlichkeit so. Also, ich hätte damit meine Probleme, vor Anderen aus dem Rollstuhl aufzustehen. Die Leute glotzen doch bestimmt."
Ich nicke und antworte ihr:
"Nicht nur glotzen, auch tuscheln... Selbst Mobbing musste ich schon erleiden. Man bekommt mit der Zeit ein dickes Fell! Du bist doch sehr hübsch. Dadurch hebst du dich doch auch von der Masse ab. Von daher kennst du das eigentlich doch auch, oder?"
Andrea ist geschmeichelt und Alex sieht ganz stolz aus.
"Ja, schon," pflichtet sie mir bei, "aber ich finde das Gegaffe widerlich. Man traut sich ja kaum noch einen kurzen Rock anzuziehen, weil man gleich von irgendwelchen Ekelpaketen angemacht wird."
Ihr bestätigend zunickend frage ich augenzwinkernd:
"Aber Alex darf schonmal gucken, oder?"
"Na ja." Sie wirft ihm einen verträumten Blick zu und wendet sich an ihn: "Aber nicht, dass du denkst, ich laufe für dich im Minirock herum!"
"Warum eigentlich nicht, wenn das Wetter danach ist?" will ich nun wissen.
"Der wird sonst übermütig!" behauptet Andrea lächelnd mit gespieltem Nachdruck.
Ich lasse es darauf beruhen.
Andrea beginnt, sich bei uns ganz wohl zu fühlen. Ich mag sie und das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Trotzdem bin ich überrascht, als sie ohne Scheu nachfragt:
"Und du würdest alles tun, was dein Freund, der Maik, von dir verlangt?"
Ohne Zögern antworte ich:
"Ja, das würde ich!"
"Also, das könnte ich nicht," meint sie. "Wie kannst du einem Mann so sehr vertrauen? Hast du keine Angst, irgendwann ausgenutzt zu werden?"
Sie hat scheinbar vergessen, dass vier männliche Ohren anwesend und nun sicher gespitzt sind.
hrpeter am 16. März 22
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren