Geräusche der Nacht -13
In der darauffolgenden Nacht kann ich wieder nicht schlafen. Alpträume plagen mich. Ich sehe den Wolf und die Wölfin miteinander kämpfen. Ich kann die furchterregenden Gebisse regelrecht fühlen und wache dann jedesmal auf.
Am folgenden Tag, irgendwann zwischen meinem Frühstück und Abendessen, schrecke ich hoch. Die Tür wird geöffnet und der Anführer der Männer betritt mein Gefängnis. Er stellt sich vor mich hin und schaut auf mich herunter. Ich rutsche so nahe wie möglich an die Kellerwand heran. Am liebsten würde ich durch die Wand dringen wollen. Ich flüstere flehend:
"Bitte, lass mich frei. Ich werde auch niemand irgendetwas erzählen!"
Der Mann lacht. Er macht einen Schritt auf mich zu und lehnt sich über mich an die Wand, abgestützt von seinen Händen. Aus dieser Position schaut er auf mich herab.
Angstschweiß bildet sich auf meiner Haut. Er beugt sich zu mir herunter. Sein Gesicht ist zu einer Fratze des Hasses entstellt. Dann richtet er sich wieder auf und ballt seine Fäuste. Ein schrecklicher Laut kommt aus seiner Kehle. Ich versuche, mich immer kleiner zu machen. Dieser Mann ist mir mehr als unheimlich. Tränen beginnen mir über die Wangen zu laufen. Ich kann nichts mehr deutlich erkennen, wegen des Tränenwassers in meinen Augen. Ein Zittern überkommt mich.
"Du Närrin willst dich wie ein Hase vor mir verstecken?" meint er.
Ich muss vor Angst wohl ohnmächtig geworden sein, denn als ich wieder zu mir komme, liege ich in verkrümmter Haltung an die Kellerwand gelehnt. Beim Aufrichten in sitzende Position stoße ich an einen Teller. Ich taste danach. Man hat mir mein Abendessen doch noch gebracht und neben mir stehenlassen. Der Löffel steckt in der geschmacklosen Pampe aus Haferflocken und Wasser. Aber ich esse den Teller leer, als wäre es meine Henkersmahlzeit.
Wieviele Tage ich inzwischen in diesem Verlies gefangen bin, weiß ich nicht zu sagen. In mir hat sich ein Fatalismus breit gemacht. Ich hätte alles getan, was man von mir gefordert hätte. Seltsamerweise fordert niemand etwas. Ich bekomme zweimal am Tag meine Pampe. Ansonsten passiert nichts. Alle scheinen auf etwas zu warten. Alle warten sicher auf Hannes, dass er die Gartentür aufbricht, um mich holen zu kommen.
Plötzlich spüre ich einen leichten Luftzug. Hannes steht vor mir. Ich glaube zuerst an eine Halluzination. Mein Gehirn spielt mir einen Streich. Dann laufe ich auf ihn zu und wirklich! Er ist kein Trugbild! Er ist gekommen, um mich zu retten. Wie er das angestellt hat, ist mir im Moment so etwas von egal. Ich falle ihm um den Hals und weine vor Glück, dabei bekomme ich kein Wort heraus.
Hannes umfasst meine Schultern, küsst mich und führt mich zum Fenster. Er öffnet die beiden Flügel aus gerahmtem Glas. Danach öffnet er die Flügel aus gelochtem Blech dahinter. Nun hebt er mich an, so dass ich den unteren Rand des Fensters zu fassen bekomme. Er schiebt und ich krieche ins Freie. Im fahlen Licht des Halbmondes erkenne ich Marga, die vor dem Fenster kniet und meine Arme nimmt. Während Hannes von drinnen schiebt, zieht Marga. Bald bin ich frei. Marga legt den Zeigefinger auf ihre Lippen. Hannes folgt mir durch das Fenster.
hrpeter am 06. Dezember 23
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren