Samstag, 30. Dezember 2023
Geräusche der Nacht -21
Aus der Angst heraus, einen geliebten Menschen an meiner Seite altern und schließlich sterben sehen zu müssen, bin ich in all der Zeit keine tiefen Bindungen eingegangen. Stattdessen habe ich ungefähr alle zehn bis zwölf Jahre einen Neuanfang an einem entfernten Ort gemacht und mir eine neue Identität zugelegt. Ein anderer Grund dafür ist auch die unterschwellige Angst davor gewesen, einem Werwolf zu begegnen, wenn ich zulange an einem Ort bleibe.

Nun treffe ich auf diesen Liam, ein charmanter Mann, und zum ersten Mal empfinde ich tiefe Gefühle und eine emotionale Verbundenheit. Er ist auf dem Weg, ein Wächter-Druide zu werden.

Ich klingele an Liams Wohnungstür. Einen Moment später öffnet sie sich und ich stehe Liam gegenüber. Meine Selbstsicherheit ist wie weggeblasen. Wie ein Automat lasse ich mich von Liam hereinbitten und zu seiner Couch führen. Er lächelt ein jungenhaftes Lächeln und bietet mir Platz neben sich auf der Couch an.

Ich stelle die Flasche und die Gläser auf dem Couchtisch ab und augenblicklich weiß ich nicht mehr, wohin mit meinen Händen. Liam bedankt sich und fragt, ob ich schon einmal in meinem Leben irische Lebensart, Musik und Tänze, kennengelernt habe. Ich verneine das. Daraufhin erhebt er sich und schiebt eine CD in seine Anlage. Dann baut er sich vor mir auf und bittet mich formvollendet zum Tanz, fast so wie ein französischer Adeliger aus der Zeit Napoleons.

Er nimmt meine Hand und zieht mich von der Couch hoch. Dann umfasst er meine Hüften und schon geht es rasant im Kreis auf der vielleicht vier Quadratmeter großen Freifläche in seinem Zimmer. Ich lache verlegen und bitte ihn, langsamer zu machen. Um mich dreht sich alles. Mir wird schwindelig. Ich beuge mich hintenüber, aber Liam behält mich fest im Griff.

Nach einigen Minuten führt er mich zur Couch zurück und setzt mich sanft ab. Danach tanzt er vor meinen Augen einen nicht minder wilden Solo, wobei er mit seinen Absätzen einen Takt auf den Boden schlägt. Schließlich nimmt er wieder neben mir Platz. Er fragt:

"Darf ich?" und nimmt die Sektflasche in die Hand.

Ich nicke lächelnd. Er lässt den Korken knallen und trinkt den hervorquellenden Schaum ab. Danach füllt er die Gläser und hebt sein Glas. Dabei schaut er mich über den Rand seines Glases an. Ich greife den Stiel meines Glases und hebe es in seine Richtung. Er sagt:

"Sláinte!"

Ich antworte lächelnd mit "Prost" und nippe an meinem Glas.

Nun stellt er sein Glas wieder auf den Tisch und fragt:
"Sag mal, Marga, in dir steckt eine Wölfin, heißt es. Genauso wie in den Werwölfen."

Ich schüttele den Kopf und korrigiere ihn:
"Falsch, in den Werwölfen steckt auch noch ihre ursprüngliche menschliche Gestalt. Sie haben die Kontrolle aber längst an ihre tierischen Instinkte abgegeben. - Im Gegensatz zu den Gestaltwandlern. Wir haben gelernt, unsere tierischen Instinkte zu kontrollieren. Hierin bin ich den Meistern in 'Dair' sehr dankbar!"

"Ich habe noch nie einen Werwolf oder einen Gestaltwandler in seiner tierischen Gestalt gesehen," gesteht er mir.