Sonntag, 9. Juni 2024
Geräusche der Nacht -76
Nach einer Weile spricht mich Valle auf ein Problem an:

"In der Doitsche Bekerej in Usbekistan habe ich ganze Backwaren hergestellt, sie in den Ofen geschoben und ihren Bräunungsgrad überwacht. In der Backfabrik sind die Arbeitsgänge getrennt und das eigentliche Backen überwacht der Ofen selbst. Ich muss während der Arbeitszeit immer nur die gleichen Arbeitsgänge ausführen. Das ist eintönig und nervtötend. Außerdem habe ich in der Situation ein Problem damit, die Kontrolle über den Wolf zu behalten."

Ich lege die Stirn in Falten. Das ist ein Problem der Fließbandarbeit. Ich kann Valle verstehen.

"Es hilft nichts," meine ich. "Dann musst du kündigen und dir eine andere Arbeit suchen. Was magst du denn gerne machen?"

"Wir haben in der Kantine ein Gespräch gehabt, da ging es um Hundeschulen und Hundetrainer..."

"Oh, okay," mache ich. "Du denkst, deine innere Arbeit mit dem Wolf in dir, könnte dich befähigen als Hundetrainer zu arbeiten?"

"Ja," bestätigt Valle, und erklärt: "Ich kenne mich mit der Mimik und Gestik der Hunde aus. Das habe ich bei unseren Jogging-Runden bemerkt, wenn wir an Hundeführern vorbeigelaufen sind."

"Hm, in den Hundeschulen setzt man auf 'positive Verstärkung'. Das ist in etwa das Gleiche, was ich dir versucht habe beizubringen, um den Wolf in dir zu kontrollieren. Der nächste Schritt ist dann, dass du im Internet recherchierst, wo gerade eine Stelle in einer Hundeschule ausgeschrieben wird."

*

Mein Name ist Valerij. Ich bin wohl so etwas wie ein Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion. Stalin hat die Deutschen, die an der Wolga gesiedelt haben nach Zentralasien deportiert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich um unser neues Siedlungsgebiet der Staat Usbekistan gegründet. Durch einige Verwicklungen bin ich in die alte Heimat zurückgekommen. Ich habe feststellen müssen, dass das moderne Deutschland nichts mehr mit der romantisierten Heimat zu tun hat. Aber ich habe hier Freunde gefunden, in deren Nähe ich mich sehr wohl fühle.

Zuerst sind wir in einer Landschaft gelandet, die man hier Spessart nennt. Unser Rudelführer führt ein strenges Regiment. Ich habe mich nie überwinden können zu töten oder gar Menschenfleisch zu fressen. Das hat zu meinem Ausschluss aus der Gemeinschaft, dem Rudel, geführt. Er hat mich weggebissen, ohne Rücksicht darauf, dass er mich dabei möglicherweise töten könnte.

Schwerverletzt hat mich eine Frau im Straßengraben gefunden und ihre Freunde hinzugerufen. Sie hat mich mit in ihre Wohnung genommen und mich gesund gepflegt. Dort hat mir eine ihrer Freundinnen beigebracht, wie ich mich gegen den Wolf in mir behaupten kann. Dann hat sie mir einen Arbeitsplatz besorgt und sich dort als Sozialarbeiterin vorgestellt, deren Klient ich sei.

Ich habe in Usbekistan eine Ausbildung in einer 'Doitsche Bekerej' abgeschlossen und war Geselle. Mit der Fließbandarbeit in der Backfabrik bin ich aber nicht klargekommen. Daraufhin habe ich eine Hundeschule gesucht, um dort eine Stelle als Hundetrainer anzutreten. Im Südwesten Deutschlands bin ich fündig geworden. Eine Hundeschule in der Nähe von Todtmoos im Schwarzwald sucht zu der Zeit meiner Recherche einen Hundetrainer.