Freitag, 21. Juni 2024
Geräusche der Nacht -80
'Kira' springt auf das Bett und legt sich neben Valle, als müsse sie ihn beschützen oder wärmen. Ich nehme mir Bettzeug aus dem Schrank und richte mir auf der Couch nebenan ein Bett ein. Es dauert lange, bis mein Adrenalin-Pegel soweit runter ist, dass ich Ruhe finde und einschlummere.

Am nächsten Morgen gehe ich im Morgenmantel in die Küche und lasse den Kaffee laufen. Dann bereite ich das Frühstück für Valle und mich vor. Nachdem der Kaffee in der Thermoskanne ist, nehme ich ein Tablett mit ausklappbaren Füßen und bringe das Frühstück ins Schlafzimmer. 'Kira' sieht mich kommen und schaut mich ganz komisch an. Ich sage bestimmend:

"'Kira', AB!“

Sie krabbelt vom Bett und ich stelle das Tablett mit ausgeklappten Füßen über Valle. Er lächelt mich an und rutscht hoch, um sich im Bett aufzusetzen. Nun meine ich:

"Guten Morgen, Valle. Du hast mir diese Nacht einen gehörigen Schrecken eingejagt! Lass mal deine Wunden sehen."

Er dreht sich nun, so dass ich ihn begutachten kann und grüßt zurück:
"Guten Morgen, Chris. Ja, das tut mir leid, aber ich hätte sonst nicht gewusst, wohin."

"Deine Wunden waren wohl doch nicht so schlimm. Sind ja fast schon verheilt. Welcher gehörnte Ehemann hat dich denn bei seiner Frau erwischt?"

"Das war kein gehörnter Ehemann! Das waren Kerle auf illegaler Wolfsjagd..."

"Das sind Schussverletzungen? Du bist so spät noch im Wald joggen gewesen? Und wieso bist du nackt?"

"Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als du dir je vorstellen kannst, Chris. Gehen wir einmal zurück ins 'Altertum'. Die Menschen haben sich früher oft Götterbilder aus menschlichen Körpern mit Tierköpfen gemacht. Die Wissenschaft interpretiert das heute, dass man in die Götter gewisse Eigenschaften von Wildtieren interpretierte, sie damit anbetungswürdig machte, auf der Suche nach Jagdglück, Erfolg im Beruf, Glück in der Liebe und so weiter. Dass da vielleicht auch mehr dahinterstecken könnte, wird in den Bereich der Esoterik verbannt, weil es mit dem rationalen Verstand nicht erfasst werden kann."

"Ja, aber... So ist das doch!" äußere ich mich, etwas verstört.

"Da ist mehr, Chris! Wir alle tragen trotz unserer Rationalität immer noch die Emotionalität unserer tierischen Vorfahren in uns. Die einen mehr, die anderen weniger. Nun gibt es seit je her immer schon Menschen, die ihr inneres Tier herauslassen können. Diese Menschen haben es nicht leicht! Lassen sie ihr inneres Tier gewähren, übernimmt es mehr und mehr das Kommando. Geben sie dem Bewegungsdrang ihres inneren Tieres ab und zu nach und versorgen es liebevoll, wird es sich steuern lassen, wie du 'Kira' steuerst. Dann beherrscht nicht das Tier den Menschen, sondern der Mensch das Tier. So kannst du einen Werwolf in seinem frühen Stadium zum Gestaltwandler machen. Selten gelingt das, wenn derjenige schon lange Werwolf ist. Dann muss derjenige seit seiner ersten Wandlung eine Aversion gegen Menschenfleisch entwickelt haben."

"Hm, Werwölfe... Jetzt willst du mir aber einen Bären aufbinden, Valle!" antworte ich in belustigtem Ton, bin allerdings innerlich verunsichert.

"Nein, Chris. Ich versuche dir die vergangene Nacht zu erklären. Dazu muss ich dir allerdings etwas über meine Natur erzählen. Gleichzeitig möchte ich dich bitten, in mir kein Monster zu sehen."

"Du willst damit sagen, du bist der Wolf, der hier nachts durch die Wälder streift und die Bauern verängstigt? Wenn das stimmt, dann lass doch mal den Wolf heraus!"

"Versprich mir, dass du nicht vor Angst in Ohnmacht fällst, sondern wissenschaftliche Neugier an den Tag legst. Bitte lass deine journalistische Neugier beiseite. Ein Artikel über Werwölfe und Gestaltwandler, würde unter den Menschen eine Hysterie auslösen!"

"Okay," meine ich neugierig.

Er scheint sich zu konzentrieren. Einen Augenblick danach krümmt er sich im Bett. Ein dunkelbrauner Pelz bedeckt allmählich seinen Körper. Ihm wächst ein Schweif und die Mundpartie verlängert sich. 'Kira' lässt einen hellen Ton hören und springt vom Bett. Von der Schlafzimmertür beobachtet sie Valles Wandlung.