Geräusche der Nacht -81
Nun zieht er seine Lefzen lang. Man hat den Eindruck, dass er lächelt. Er rutscht vom Bett und beugt seine Ellbogen. Sein Schultergürtel kommt dabei tiefer als sein Beckengürtel. 'Kira' schleicht nun langsam näher. Sie streicht mit ihrer Zunge über den Hals des Wolfes. Er erwidert ihre Geste. Dann lässt er sich zur Seite fallen. Kira schnüffelt intensiv und liegt alsbald zwischen seinen Pfoten. Dabei schaut sie zu mir auf, als wollte sie mich auffordern, es ihr gleich zu tun.
Nun kommt wieder Bewegung in den Wolf. Sein Fell macht wieder der menschlichen Haut Platz und die Wolfsschnauze wird zu dem mir vertrauten menschlichen Gesicht.
"Du siehst zweierlei," spricht Valle mich an. "Einerseits brauche ich in meiner Wolfsgestalt keine Kleidung. Andererseits bin ich in meiner Wolfsgestallt größer. Meine Muskeln würden jede Naht sprengen. Dann: Hast du 'Kiras' Verhalten beobachtet? Zuerst war sie erschrocken. Richtig. Dann hat sie keine Aggression, Zorn oder Hass erschnüffelt, sondern eher Freundschaft, Zuneigung, Fürsorge. Das ließ sie sich mir nähern und sich vertrauensvoll neben mich ablegen.
Mein innerer Wolf ist nicht mordlüstern, wie er in den Urängsten der Menschen sein müsste!"
"Aber woher kommen dann diese Urängste?" frage ich.
"Wölfe und Menschen sind soziale Wesen. Sie kümmern sich um ihresgleichen. Setzt du ein Baby zu dem Wurf eines Wolfes, werden die Welpen das Baby als ihresgleichen betrachten und sie beginnen miteinander zu spielen. Die Wölfin wird das Baby gleichbehandeln, also mitversorgen. Bringst du einen Welpen in eine Familie von Menschen, werden die Kinder mit ihm spielen und die Eltern den Welpen mitversorgen.
Nur... wie versorgen Wölfe ihren Nachwuchs? Sie erjagen ihre Mahlzeiten und geben davon ihren Jungen ab. Dabei unterscheiden sie nicht, ob sie ein Wildtier vor sich haben oder ein Vieh. Sie kennen keine Unterscheidung. Jetzt denke dich etwa 35.000 Jahre zurück. Damals lebte der Canis dirus. Er ist vor 13.000 Jahren ausgestorben und sein Platz hat der Canis lupus eingenommen. Der Canis dirus war etwa 30 Zentimeter höher und länger als der heutige Wolf und zu seiner Beute zählte auch der damalige Mensch, nicht weil das Tier mordlüstern wäre, sondern weil das Tier sich und seine Nachkommen zu ernähren hatte. Aber die Angst sitzt tief im Menschen..."
"Was kann man tun, um Vieh und Pferde heutzutage vor dem Wolf zu schützen?"
"Abends in Stallungen treiben. Herdenschutzhunde in die Herde integrieren. Die Menschen müssen wieder lernen, mit einem Beutegreifer zu leben. Natürlich braucht es dazu Investitionen und ein geändertes Verhalten. Die Menschen vor 300 Jahren konnten damit noch umgehen. Man kann sein Vieh oder sein teures Turnierpferd einfach nicht mehr über Nacht auf der Weide alleine lassen."
"Und warum sträubst du dich dann, eine Beziehung mit mir einzugehen? Wir sind Freunde geworden. Es könnte mehr daraus werden, weil ich dich mag! Trotz deiner etwas ungewöhnlichen Natur."
hrpeter am 24. Juni 24
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