Donnerstag, 27. Juni 2024
Geräusche der Nacht -82
"Ich kann keine Kinder zeugen. Wäre ich eine Frau, könnte ich keine Kinder gebären. Warum sind wir dann nicht schon längst ausgestorben? In unserem Blut lebt ein Mikroorganismus, der die Wunden schneller heilen lässt, weil er die Körperzellen ständig erneuert. Dadurch sehe ich mit 80 Jahren äußerlich immer noch einem jungen Mann ähnlich. Du bist dann die typische alte Frau mit all ihren Altersgebrechen und hast nicht mehr lange zu leben. Verstehe mich nicht falsch! Wenn es nach mir ginge, würde ich bei dir bleiben, all die Jahre deines Lebens und dich im Alter pflegen. Stirbst du irgendwann, würde ich mich in Dankbarkeit an dich erinnern, einen Teil meines Lebens mit dir verbracht haben zu dürfen.
Aber überdenke einmal die Reaktion der Umwelt! Jetzt guckt niemand hin. Alles ist normal. Fünfzehn oder zwanzig Jahre später geht das Getuschel los: Guck' mal da, der junge Kerl mit der bald doppelt so alten Frau! Sie muss wohl jede Menge Mäuse haben, sonst wäre er schon längst weg.
Je größer der Altersunterschied, desto schlimmer wird das. Daher empfinde ich eine Freundschaft, die vielleicht lebenslang hält, als den besseren Weg."

"Du hast wohl Recht. Aber allmählich brauchst du wirklich etwas zum Anziehen!"

"Ich kann aber weder als Wolf von hier zu meiner Wohnung gehen, noch den 'Flitzer' spielen," gebe ich zu bedenken.

"Richtig. Deshalb solltest du den Bademantel anbehalten und ich fahre dich das kurze Stück!"

Valle nickt und erhebt sich. Von der Tür aus schaue ich 'Kira' an und sage ihr:

"'KIRA', PLATZ! Ich bin gleich wieder zurück."

Die Hündin legt sich im Durchgang vom Wohnzimmer zum Flur ab und ich verfrachte Valle in mein Auto. Dann fahre ich ihn die vielleicht 200 Meter und parke dort so, dass die geöffnete Beifahrertür fast gegen die Hauswand neben seiner Wohnungstür stößt. Er bedankt sich bei mir und ich fahre zu mir zurück. Zuhause setze ich mich auf die Couch und beginne zu grübeln. Wie soll das mit uns weitergehen?

'Kira' springt auf die Couch und legt sich neben mich. Gedankenverloren beginne ich sie hinter den Ohren zu kraulen. Irgendwann dreht sie sich und bietet mir ihren Bauch zum Streicheln. Wieder habe ich das Gefühl, dass da jemand wohlig grinst.

*

--August 2021 Köln--
Mir, Laura Pauli, ist es in Kassel alleine zu einsam. Also habe ich angefragt, ob im Kölner Uni-Center ein kleines Appartement frei wäre. Enie, der weibliche Teil des Kölner Pärchens, ist erfreut und will mir Bescheid geben, wenn sich etwas ergibt.

Eine Woche nach meiner Anfrage meldet sich Hannes, ihr Freund:
"Hi, Laura. Im Uni-Center ist tatsächlich eine kleine Wohnung frei geworden. Sie hat in etwa den Zuschnitt von Enies Appartement, liegt aber zwei Etagen tiefer."

"Na, das ist doch wunderbar!" texte ich zurück. "Zwei Etagen kann man zur Not auch über die Treppen bewältigen, wenn der Aufzug mal kaputt sein sollte."

"Okay," schreibt er. "Dann sage ich dem Hausmeister Bescheid. Du solltest aber trotzdem so bald wie möglich kommen und den Mietvertrag unterschreiben, sonst fällt die Wohnung an jemand anderen."

Am nächsten Tag setze ich mich in meinen Wagen und fahre drei Stunden von Kassel bis ich vor dem Hochhaus stehe. Ich steige aus und lege meinen Kopf staunend in den Nacken. Nach einigen Augenblicken, in denen ich meinen Blick auch rundum schweifen lasse, fasse ich mir ein Herz und gehe auf den Eingang zu.