Donnerstag, 8. Oktober 2020
Suìmh Aille -04
Mein Gegenüber zückt eine lederne Geldbörse mit vielen Fächern und legt einige große Scheine auf den Tresen. Jeanette sammelt sie sogleich ein und lässt sie in der Kasse verschwinden. Mister Ciaraì erhält einen Bon und muss sich in ein Buch eintragen. Daraus schreibt Jeanette den Namen auf den Kalender an der Wand. Sie fragt:
„Wünschen Sie ein kontinentales Frühstück oder ein Irish Breakfast aus der Karte?“
„Ein Irish Breakfast mit Tee, Milch und Zucker,“ gibt er zur Antwort, ohne einen Blick auf die Karte zu werfen.
„Okay,“ meint die Bedienung, „wären Sie so freundlich, mir kurz zu folgen?“
Sie weist mit der Hand auf einen Durchgang, direkt neben der Theke. Ich rutsche vom Barhocker und auch Mister Ciaraì erhebt sich. Wir umrunden die Theke und folgen der Bedienung. Sie führt uns den Gang entlang zu einer Haustüre, die sie öffnet.
„Dies ist der Eingang für Übernachtungsgäste,“ sagt sie.
Dann dreht sie sich um und weist zu der Treppe neben dem Gang. Wir folgen ihr nun über knarrende Stufen in das Stockwerk über dem Schankraum. Dort öffnet sie das Zimmer 3 und schaltet das Licht ein. Ein Doppelbett steht dort mit zwei Nachtkommoden und ein Schrank. Eine Zimmerecke ist mit einer Zwischenwand versehen und schräg abgetrennt. Jeanette öffnet die Tür in der Mitte der Trennwand und lässt uns einen Blick in ein dreieckiges WC mit Dusche und Waschbecken werfen.
Mister Ciaraì nickt und lässt sich die Schlüssel aushändigen. Danach gehen wir wieder nach unten in den Schankraum und zahlen dort unsere Zeche. Ich schüttele vehement den Kopf, als er auch meine Rechnung begleichen will.
„Soweit sind wir noch nicht!“ kommentiere ich das.
Er neigt den Kopf leicht, sagt aber weiter nichts. Wir verlassen den Pub. Mister Ciaraì führt mich zu seinem Wagen. Damit sind wir eindeutig mobiler als mit dem Bus. Ich nenne ihm die Adresse des Wattenmuseums, und staune über sein Auto. Es ist ein antikes Cabrio. In welcher Scheune es wohl die Jahrzehnte überdauert hat bis es restauriert wurde?
Irland bietet so manchen Schatz, muss ich mir eingestehen, und sehe meinen Begleiter mit anderen Augen an. Wenn er so liebevoll fürsorglich mit Alltagsdingen umgeht, wie ist das wohl mit einer Person wie mir? Darf ich also Teile meiner Selbstverantwortung auf ihn übertragen? Eamon schlägt die Plane zurück, die die Sitze verdeckt. Dann öffnet er mir galant die Beifahrertür.
Nachdem ich auf dem Beifahrersitz linker Hand Platz genommen habe, beugt er sich vor dem Kühlergrill nach unten und bewegt sich rhythmisch ein wenig auf und ab. Sein angespannter Gesichtsausdruck verschwindet und macht einem Lächeln Platz. Ich habe den Eindruck, fast auf dem Asphalt der Straße zu sitzen. Der Motor startet und er nimmt rechts neben mir hinter dem Steuer Platz. Nun tippt er die Adresse des Wattenmuseums in seinen Navi und wartet kurz bis der Navi eine Standortbestimmung durchgeführt hat. Danach bugsiert er rückwärts aus der Parklücke heraus und lässt sich vom Navi durch die Stadt lotsen.
Als wir den Zielpunkt erreicht und den Eintritt ins Wattenmuseum bezahlt haben, wandern wir dort langsam durch die Räume. Wir kommen an Gerippe von Häusern und Booten vorbei, die in den letzten tausend Jahren bei Sturmfluten im Watt untergegangen sind, immer wieder unterbrochen von Gemälden, die die Stimmung während solcher Fluten einzufangen versuchen. An den Wänden hängen Fischernetze mit Seesternen und Muscheln.
Nach etwa einer Stunde kommen wir in den Außenbereich. Hier ist eine heutige Wattenlandschaft aufgebaut mit einem kleinen Zoo, in dem sich Seehunde tummeln und Möwen um Futter betteln. Wir betreten die Gastronomie in einem großen ‚Wintergarten‘ und setzen uns an einen Tisch.
Bei der Bedienung bestellen wir ein heimisches Fischgericht. Beim Essen frage ich meinen Begleiter:
„Der Ort im Südwesten… Wir hieß er doch gleich? Suimh Aille! Sind wirklich alle Herren so respektvoll, interessiert, konsequent und fürsorglich wie ich dich in der kurzen Zeit jetzt live kennenlernen durfte?“
„Hm,“ macht er freundlich lächelnd. „Erstens in Suimh Aille du kannst erleben den Alltag als Pet! Zweitens, da es gibt nicht DAS Petplay, die Herren in Nuancen sich unterscheiden natürlich!“
„Ah, okay,“ meine ich. „Also muss ich dich doch noch über einen längeren Zeitraum näher kennenlernen, um dein Petplay zu verstehen.“
„Richtig, der Zeitraum individuell verschieden ist, natürlich. Die Dauer du bestimmst. Je mehr dein Vertrauen und die mögliche Zuneigung wächst, desto mehr Selbstverantwortung du auf mich übertragen kannst. Ich mich freuen würde, wenn du würdest mich begleiten nach Irland – und dort wirst die Doggie des Ortsvorstehers…“
Wir reden noch über dies und das. Eamon wird mir immer sympathischer und vertrauter. Schließlich verabschieden wir uns voneinander. Ich fahre mit dem Bus nachhause, während er zu seinem Gästezimmer zurückfährt. Am nächsten Morgen wollen wir uns zum Frühstück wieder im Pub treffen.
Eamon ist sehr galant. So kommt es, dass ich mich täglich nach der Arbeit für zwei bis drei Stunden mit ihm treffe. Wir nutzen die Zeit zum näheren Kennenlernen durch Reden und kleinere Sessions von jeweils wenigen Minuten Dauer. Dabei besuchen wir die verschiedensten Freizeitmöglichkeiten meiner Heimatstadt.
Wir vereinbaren, dass ich im Herbst noch einmal zwei Wochen Urlaub beantrage, und ich diese Zeit bei ihm in Irland verbringe. Ich werde dort zum ersten Mal für längere Zeit probeweise eine Doggie sein, Seine Doggie!

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