Reiko -6-
Die Trainerin stellt sich mir, Reiko -dankbares Kind-, vor und sagt:
?Yoo -Hi-, Reiko-chan, mein Name ist Osawa-San. Wie du sicher schon bemerkt hast, trainiere ich die Uma-onna -Pferdfrauen- auf diesem Hof. Die Anderen haben ihr heutiges Pensum absolviert. Du bist neu hier und durftest erst einmal zuschauen. Doch nun sollten auch wir langsam beginnen, miteinander zu arbeiten.?
Ich erhebe mich. Sie geht ein paar Schritte zurück und lässt mich den Sandplatz betreten. Dort klinkt sie die Longierleine in den Ring an einer Wange. Dann aber holt sie eine dünne gebogene Stange aus ihrer Tasche und befestigt die Trense an beiden Ringen, wofür sie mit zwei Fingern rechts und links einen leichten Druck auf die Wangen ausübt. Als ich den Mund öffne, habe ich sogleich die Trense zwischen den Lippen.
?Zuerst werde ich dir beibringen, wie du dich mit deinen Hufen bewegst,? sagt sie. ?Wir fangen mit einem langsamen Schritt an. Du gehst langsam um mich herum!?
Behutsam stelle ich einen Fuß vor den anderen und gehe in einem großen Kreis um die Trainerin herum. Die Hufschuhe scheinen immer noch ungewöhnlich schwer. Immer, wenn die Hufe den Boden berühren, gibt es ein dumpfes, klackerndes Geräusch.
?Nicht so schlurfen. Hebe die Beine mehr an!? ruft die Trainerin bald mit lauter Stimme. Unwillkürlich nicke ich und versuche der Anordnung nachzukommen. Es ist anstrengend, aber ich gebe mir Mühe und hebe die Knie an. Doch Osawa-San, meine Trainerin, ist immer noch nicht zufrieden.
?Das reicht noch nicht,? meint sie und kommt näher an mich heran.
?Deine Oberschenkel müssen für einen kurzen Augenblick horizontal sein", erklärt sie mir und drückt mein linkes Bein weiter nach oben.
Ich gebe mir Mühe, die Anforderung der Trainerin zu erfüllen. Das hohe Gewicht der Stiefel macht es mir nicht besonders leicht. Außerdem bin ich mir in Sachen Gleichgewicht immer noch ein wenig unsicher.
Meine Bemühungen gefallen der Trainerin wohl immer noch nicht, denn sie hebt die Reitgerte, die sie bis dahin locker in der Hand hängen gehabt hat. Nun geht sie neben mir her und immer, wenn ich das Bein nicht weit genug anhebe, versetzt sie mir damit einen leichten Schlag von unten gegen meinen Oberschenkel.
Die Schläge sind nicht sehr schmerzhaft, reichen aber aus, dass ich mehr darauf achte, meine Beine richtig anzuheben. Ich gehe noch eine gefühlte Ewigkeit im Kreis. Inzwischen spüre ich bei jedem Schritt ein unangenehmes Ziehen in meinen immer müder werdenden Oberschenkeln.
?In Ordnung, das reicht erst einmal,? entscheidet sie. ?Bleib stehen!?
Osawa-San lächelt zufrieden.
Nur zu gerne komme ich der Anordnung nach. Obwohl ich nicht einmal besonders schnell gegangen bin, atme ich schwer und mir ist warm geworden. Wenn ich nur diese blöde Trense loswerden könnte!
Neugierig warte ich ab, was die Trainerin als nächstes mit mir vorhat. Die erste Lerneinheit hat nun schon einmal dazu geführt, dass ich mit meinen neuen Hufen einigermaßen sicher und elegant gehen kann. Was würde wohl als nächstes kommen?
Osawa-San schaut auf ihre Uhr und meint dann:
?So spät schon? Also gut, dann komm mit in deine Box. Damit hast du deinen ersten Tag hier ganz gut gemeistert, Reiko-chan!?
Ich schaue sie an und sehe sie lächeln. Danach führt sie auch mich in den Stall zurück und löst in der Box Longierleine und Trense aus dem Zaumzeug. Kurz darauf bin ich alleine. In den anderen Boxen ist es auch ruhig. Also gehe ich zu den Futtertrögen und stille ausgiebig Hunger und Durst.
Anschließend stelle ich mich über den kleinen Strohhaufen und erleichtere mich. Bis dahin hat er den Duft von frischem Stroh gehabt. Also werden die Boxen sicher täglich ausgemistet, während wir auf der Koppel sind.
Danach lasse ich mich auf meinem Schlafplatz nieder, drehe mich etwas und rutsche mit der Schulter bis sich eine Kuhle gebildet hat. Im Stall ist es schon sehr dämmerig geworden. Ich beginne zu dösen und bin bald in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Am nächsten Morgen werden wir wieder alle höflich begrüßt und bekommen frisches Futter und Wasser. Das machen die Auszubildenden zum Pferdewirt -Toreningu no uma no hosuto-. Vielleicht eine halbe Stunde später kommt unsere Trainerin an meine Box.
?Yoo, Reiko-chan!? sagt sie. ?Wollen wir heute den Anfang machen??
Sie betritt meine Box und befestigt die Trense wieder im Zaumzeug. Dann klinkt sie die lange Longierleine in den seitlichen Ring. Den größten Teil der ledernen Leine hat sie in Schlaufen in der linken Hand hängen.
Nun führt sie mich wieder auf die Koppel und wiederholt das gestrige Programm. Diesmal ist sie strenger mit mir. Ich bekomme die Reitgerte mehrfach schmerzhaft zu spüren. Irgendwann ist sie der Meinung, dass es reicht. Jetzt soll ich den leichten Trab üben. Wieder korrigiert sie mich verbal und nutzt die Reitgerte nur als verlängerten Arm.
Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als sie meint:
?So, das reicht für heute! Bleib stehen!?
Ich bin schweißüberströmt. Völlig außer Atem bleibe ich stehen und schaue zu ihr hinüber. Meine Beine schmerzen. Ich bin völlig fertig.
?Sehr gut, deine Leistungen sind in Ordnung!? lobt Osawa-San mich. ?Ruh? dich unter dem Baum aus. Ich hole den Rest der Herde. Du kannst dann zuschauen, bis es heute Abend wieder zurück in die Boxen geht.?
Mein Atem hat sich beruhigt, aber ich merke jeden weiteren Schritt in meinen müden Beinen. Das wird einen bösen Muskelkater geben, da bin ich mir sicher.

*

An den vergangenen drei Tagen ist Watanabe-San mit zwei seiner Männer und den beiden älteren Uma-onna -Pferdfrauen- fort gewesen. Sie sind mit dem Geländewagen gefahren, den ich kenne, und einem Pferdeanhänger. Die Trainerin hat mir erzählt, dass irgendwo ein Rennen stattgefunden hat.
Als wir im Mittelgang an den Boxen vorbeigegangen sind, damit sie meinen Schritt überprüfen kann, während draußen ein kleiner Schauer herunterkommt, konnte ich die Namen meiner Stallgenossinnen lesen. So habe ich erfahren, dass die Jüngste Hiko -Feuerkind- heißt. Sie hat eine grüne Turnierschleife am Boxengatter. So etwas fehlt mir, da ich noch kein Turnier mitgemacht habe. Die älteste Stallgenossin, Ruri -Smaragd-, hat dagegen schon eine gelbe, drei graue, drei weiße und eine rote Turnierschleifen. Ihre Freundin, Nozomi -Hoffnung-, die auch diesmal wieder dabei ist, hat drei weiße, vier blaue und eine grüne Schleife bekommen.