Reiko -11-
Ich nicke ergeben und wende mich wieder dem Futter zu. Er hat Recht. Magenschmerzen würden die bevorstehende Nacht nicht gerade angenehmer machen. Auch so rechne ich damit, dass ich unruhige Stunden wegen meiner Nervosität vor mir habe. Riku-kun lehnt sich an die hölzerne Wand zwischen den Boxen. Er scheint bei mir bleiben zu wollen. Es freut mich, dass er mir Gesellschaft leistet und mich nicht mit meiner Angst alleine lässt.
Ich senke den Kopf über den Trog und beginne mit dem Abendessen.
Schließlich habe ich den Trog fast geleert und auch genügend aus dem Wassertrog geschlürft. Ich hebe den Kopf und schaue meinen Trainer an. Er löst sich von der Wand, tritt an mich heran und streichelt mir sanft über die Wange.
?Morgen wirst du allen zeigen, wie gut du bist! Setz dich nicht unter Druck, Kleine.?
Er führt mich zu meinem Strohlager. Vorsichtig lasse ich mich darauf sinken und mache es mir auf dem Stroh bequem. Nun geht er neben mir in die Hocke und setzt sich auf den Begrenzungsbalken, um mir danach sanft über die Flanke zu streicheln.
?Sei nicht so aufgeregt!? flüstert er. ?Du musst morgen nur selbstbewusst sein und dir sagen, dass niemand eine Chance gegen dich hat.?
Ich lege den Kopf etwas in den Nacken und schaue zu Riku-kun empor. So, wie er es sagt, klingt es ganz einfach. Er steht ja nicht auf dem Dressurfeld, beobachtet von hunderten Augen. Schließlich bin ich es, deren Bewegungen benotet werden. Er lächelt.
?Du brauchst mich gar nicht mit so großen Augen anzusehen, Kleine. Ich weiß, dass du es kannst. Du musst nur an dich glauben. Das Training in den letzten Wochen lief gut!?
Ich schnaube ein wenig zweifelnd. Dann senke ich den Kopf langsam wieder. Er lächelt mich zuversichtlich an. Ich muss einen möglichst hohen Platz erreichen! Die Chance morgen muss ich unbedingt nutzen.
Riku-kun lächelt zufrieden.
?Der Blick gefällt mir schon besser,? meint er. ?Wir schaffen das, meine Kleine.?
Dankbar schaue ich zu ihm auf.
?Oyasumi nasai -Gute Nacht-, wünscht er mir und verspricht: ?Morgen früh wecke ich dich!?
Wieder streicht er mir zart über die Flanke. In den Wochen des intensiven Trainings hat sich eine besondere Verbindung zwischen Riku-kun und mir gebildet. Danach erhebt er sich und verlässt meine Box, das Boxentor sorgfältig hinter sich verschließend. Gleich darauf hat er auch den Stall verlassen.
Nun meldet sich meine Blase. Mühsam komme ich wieder in die Senkrechte und erleichtere mich über dem kleinen Strohhaufen, um mich danach wieder hinzulegen. Ich werde morgen mein Bestes geben! Natürlich bin ich immer noch nervös und unruhig, doch die Angst hat einer tiefen Entschlossenheit Platz gemacht. Ich schließe die Augen, atme ein paarmal konzentriert aus und ein und sinke allmählich in einen unruhigen Schlaf.

*

Ich erwache aus einem wenig erholsamen Schlaf, als das Boxentor quietschend geöffnet wird. Verschlafen richte ich mich auf.
?Ohayo gozaimasu -Guten Morgen-, Reiko,? flüstert Riku-kun und lächelt mich aufmunternd an. ?Na, wie hast du geschlafen??
Ich antworte mit einem leisen, etwas zaghaften Schnauben.
?Sei nicht so nervös,? raunt er, und streicht mir über die Wange. ?Du hast viel trainiert. Jetzt kannst du den Wettkampf nicht mehr aufhalten. Gib einfach dein Bestes und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Okay??
Wieder schnaube ich leise und schaue ihn an. Riku-kun hat natürlich Recht.
?Na komm, jetzt gibt es erst einmal Frühstück,? sagt er und hängt einen bereits vorbereiteten Futtertrog in die Halterung.
Etwas ungelenk richte ich mich auf und stehe mit recht wackeligen Beinen. Zuerst erleichtere ich mich über dem kleinen Strohhaufen, dann gehe ich zum Futtertrog, um den Inhalt zu inspizieren. Riku-kun hat mir neben den Pellets aus Getreide und Trockenfrüchten noch kleingeschnittene frische Früchte hineingetan. Ohne richtigen Hunger zu verspüren, senke ich den Kopf über den Trog.
?Frühstücke ausreichend,? mahnt er mich. ?Ich hole dich gleich ab.?
Anschließend entfernt er sich. Ich schaue ihm hinterher, schnaube leise und senke den Kopf wieder in den Trog. Das heutige Frühstück schmeckt besser als die trockenen Pellets, die ich sonst bekomme und mit Wasser aus dem Nachbartrog hinunterspüle. An diesem Morgen merke ich aber davon kaum etwas. Mit meinen Gedanken bin ich schon auf dem Wettkampffeld.
Wenige Minuten später stehe ich wartend in meiner Box. Ich habe den Trog nicht ganz geleert, aber genug gegessen, um erst einmal keinen Hunger zu bekommen.
Wieder nähern sich Schritte und erneut ist es mein Trainer. Er streift mir mein Zaumzeug über den Kopf und schließt die Verschlüsse.
?Gut, dann lass uns mal aufbrechen! Der Shujin wartet schon,? meint Riku-kun und befestigt eine kurze Führleine an einem der beiden Metallringe.
Ich lasse mich aus dem Stall auf den Hof führen. Es ist ein kühler Morgen, die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen. Ich atme die kühle Luft ein und spüre, wie die Müdigkeit schlagartig nachlässt. Mein junger Trainer führt mich zum Geländewagen, an dem ein Pferdeanhänger befestigt ist.
?Da seid ihr ja. Saikin dou -Alles klar soweit-?? begrüßt uns der Shujin, neben der heruntergelassenen Rampe des Anhängers steht.
Riku-kun übergibt Watanabe-San die Führleine und der Shujin führt mich ins Innere des Anhängers. Die Tür einer der beiden kleinen Boxen steht bereits offen. Ich betrete die Box. Sie ist mit Stroh ausgelegt und gibt mir nicht viel Bewegungsfreiheit. Der Shujin befestigt die Leine locker in einem kleinen Ring und sagt zu mir:
?Versuche entspannt zu bleiben, Reiko, damit du nachher fit bist!?
Ich nickte leicht mit dem Kopf. Der Shujin schließt nun die Tür der kleinen Box und klappt danach von draußen die Rampe hoch, um auch diese mit Riegeln zu sichern. Kurz darauf ruckt der Anhänger und die Fahrt beginnt.