Reiko -12-
Unruhig trete ich in der engen Box von einem Bein aufs andere. Ich spüre, wie die Nervosität wieder steigt. Gleichzeitig macht sich aber auch eine gewisse Vorfreude in mir breit.
Endlich biegt das Gespann ab und kommt kurz darauf zum Stehen. Ich weiß nicht genau wie spät es ist, aber ich vermute, dass es auf Mittag zugehen muss. Viel Zeit haben wir nicht mehr, bis die Wettkämpfe starten.
Der Anhänger wird geöffnet und Riku-kun taucht vor meiner Box auf. Kurz mustert er mich, während er die Tür öffnet.
?Jetzt hast du es bald geschafft,? sagt er, löst die Führleine und wickelt sie sich locker um das Handgelenk. Er macht einen zuversichtlichen Eindruck.
Ich schnaube leise und folge meinem Trainer aus dem Anhänger heraus. Kaum, dass ich ins Freie getreten bin, spüre ich die typische Stimmung eines Wettkampfes. Mehrere Gespanne stehen auf dem gepflasterten Parkplatz. Einige andere Uma-onna -Pferdfrauen- sind zu sehen, die sich nervös und aufgeregt umschauen. Trainer reden ihnen gut zu, während sich andere Sportbegeisterte angeregt miteinander unterhalten und die bevorstehenden Entscheidungen diskutieren.
Von Watanabe-San ist im Augenblick nichts zu sehen. Riku-kun interpretiert meine hektisch suchende Blicke richtig und erklärt mir:
?Der Shujin meldet dich gerade an und erfährt dabei, wann du startest!?
Endlich sehe ich Watanabe-San, den Shujin des Gestüts, auf uns zu kommen. Er entscheidet:
?Der Wettkampf beginnt in einer halben Stunde. Wir starten im Mittelfeld. Jetzt putzen wir Reiko erst einmal richtig schön heraus.?
Beide Männer kümmern sich nun um mich. Meine Mähne wird gekämmt und mit einer Creme eingerieben, damit sie aufrecht steht. Anschließend reiben sie mich von oben bis unten mit einer glänzenden Substanz ein. Ich schaue den Shujin fragend an.
?Das ist nur ein wenig Öl, um deinen Körper noch etwas edler aussehen zu lassen,? erklärt Riku-kun, während der Shujin lächelt.
Ich schnaube leise. Die Idee gefällt mir. Vielleicht bringt mir das ja ein paar zusätzliche Sympathiepunkte bei den Richtern ein. Anschließend führt mein Trainer mich zu einer nahen Koppel.
?Lauf dich erst einmal warm,? meint Riku-kun und löst die Führleine von meinem Zaumzeug.
Ich schnaube leise und schaue sich kurz um und beginne in einem langsamen Trab den Platz zu umrunden. Dabei mustere ich meine Konkurrentinnen, die sich ebenfalls aufwärmen. Nach der zweiten Runde winkt er mich zu sich. Nun soll ich die einzelnen Dressurfiguren ein letztes Mal zeigen.
?Gut gemacht!? lobt er mich und lächelt mich zufrieden an.

*

Endlich war es soweit. Riku-kun befestigt die Führleine wieder an meinem Zaumzeug. Kurz lächelt er mich an, doch auch ihm kann man die Anspannung ansehen.
Watanabe-San gesellt ich zu uns. Er hat die Zeit wohl mit einem Nickerchen im Fahrzeug überbrückt. Rechts und links flankiert von den beiden Männern gehen wir zum Dressurfeld. Drumherum stehen die anderen Gestütsbesitzer, Trainer, und Bekannte, um die Prüfung zu verfolgen. Mein Herz schlägt aufgeregt und die Gedanken überschlagen sich.
Werde ich es schaffen? Was ist, wenn etwas schief geht? Wenn ich die Reihenfolge der Dressurfiguren vergesse? Rasch versuche ich, den Ablauf noch einmal im Kopf durchzugehen.
Wir erreichen das Dressurfeld und bleiben stehen. Riku-kun zieht mich einen Schritt zur Seite.
?Komm her, ich muss dir noch die Trense einsetzen,? sagt er mit gedämpfter Stimme.
Unruhig halte ich still, während mein Trainer mir die Stange einsetzt. Ein wenig kraftvoller als üblich beisse ich darauf. Riku-kun rückt die Lederriemen des Zaumzeugs noch ein wenig zurecht, als Applaus aufbrandet. Die Uma-onna, die gerade dran gewesen ist, ist wohl gerade fertig geworden.
Tatsächlich dauert es nicht lange, bis eine Uma-onna -Pferdfrau- von ihrer Trainerin an uns vorbeigeführt wird. Riku-kun greift in mein Zaumzeug und dreht meinen Kopf in seine Richtung.
?Na los, du bist dran,? meint er und löst die Führleine vom Zaumzeug.
Langsam und hoch konzentriert setze ich mich in Bewegung. Nach ein paar Metern umrunde ich die Absperrung und betrete das Feld. Erneut gibt es Applaus. Meine Beine scheinen fast wie von selbst einen Schritt nach dem anderen zu machen, während ich den Blick schweifen lasse. Vor einer solchen Kulisse bin ich noch nie aufgetreten.
Ich betrete das Dressurviereck und ein Mann spricht in ein Megaphon:
?Hier kommt die Teilnehmerin mit der Startnummer 9, Reiko, aus dem Gestüt Watanabe! Es ist ihr erster Wettbewerb!?
Noch einmal gibt es einen kurzen Applaus, während ich auf die Startposition zugehe. Mein Herz pocht von innen gegen die Rippen.
Genau an der Markierung halte ich inne, stelle beide Hufe nebeneinander und strecke mich noch einmal, um die erwartete Ausgangshaltung einzunehmen. Die Zuschauer verstummen. Jetzt gilt es!
Noch einmal atme ich tief durch und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Danach setze ich mich mit einem sanften Ruck in Bewegung. Im Schritttempo stolziere ich über den sandigen Untergrund. Die Hufe geben dumpfe Geräusche von sich. Ansonsten hätte man wohl eine Stecknadel fallen hören können.
Ich nähere mich der Mitte des Dressurfeldes. Sorgfältig achte ich darauf, die Knie bei jedem Schritt so hoch zu ziehen, dass meine Oberschenkel eine waagerechte Linie bilden.
Als ich mich der Drittelmarke vor dem Ende der Bahn nähere, muss ich umdrehen. Dazu hebe ich meine Knie weiter im bisherigen Rhythmus, nun aber auf der Stelle, und drehe mich so mit jedem Schritt etwas weiter um mich selbst. Anschließend laufe ich in einem lockeren Trab auf die Stirnseite des Dressurfeldes zu, biege an der äußeren Begrenzung nach rechts ab und laufe die kurze Seite entlang. Mein Schweif wippt im Takt meiner Schritte, die zunehmend ruhiger und gleichmäßiger werden.