Reiko -14-
?Na komm, ich bring dich zurück zum Gespann,? meint Riku-kun.
Vor meinem Auftritt habe ich mir erhofft, zusehen zu können, wie sich meine Konkurrenz schlägt. Aber jetzt ist es mir sehr recht, zurück zur Box gebracht zu werden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt noch lange auf den Beinen halten kann. Mit leicht gesenktem Kopf, aber zufrieden mit meiner Leistung, folge Ich Riku-kun. Beim Pferde-Anhänger angekommen, mache ich große Augen. Im Gang neben den Boxen steht ein Faltbett aufgebaut. Dankbar will ich mich darauf niederlassen.
?Warte kurz, Kleine!? sagt mein Trainer mit sanfter Stime. ?Lass mich dich abtrocknen, damit du dich nicht erkältest!?
Er nimmt ein Handtuch, legt es sich aber erst einmal über die Schulter und macht sich an meinem Zaumzeug zu schaffen.
?Die brauchst du jetzt nicht mehr,? meint er, und nimmt mir die Trense ab.
Anschließend trocknet er mir das Gesicht ab, um dann von den Schultern abwärts mit dem Tuch über meinen Körper zu fahren.
?Für deinen ersten Wettkampf warst du wirklich unglaublich,? resümiert mein Trainer während des Abtrocknens. Schließlich entscheidet er:
?So, jetzt kannst du dich hinlegen.?
Mit wackligen Schritten nähere ich mich dem Feldbett und lasse mich so behutsam wie möglich darauf nieder. Riku-kun hilft mir dabei.
Jetzt habe ich es erst einmal geschafft. Plötzlich spüre ich etwas Kühles auf meinem rechten Bein. Leicht zusammengezuckt hebe ich den Kopf.
?Schhh, ganz ruhig. Ich creme dir nur die Beine mit einer Sportsalbe ein,? erklärt mir mein Trainer. Ich schnaube leise.

*

?Ne, anata wa sukoshi nemui, mewosamasu! -Hey, du kleine Schlafmütze, aufwachen!- In wenigen Minuten beginnt die Siegerehrung. Willst du sie verpassen??
Mein Trainer weckt mich. Schwerfällig rappele ich mich auf. Er klatscht mir sanft einen nassen Lappen ins Gesicht und fährt dann damit über Wangen und Schultern. Langsam kehren meine Lebensgeister zurück.
Ich bin aus dem Anhänger herausgekommen und sehe an der Seite zwei kleine Tröge hängen. Dort stille ich meinen momentanen Hunger und den Durst. Wie, wenn sich ein Vorhang öffnet, wird mir bewusst, was Riku-kun gerade gesagt hat. Mein Herz hüpft. In wenigen Minuten werde ich erfahren, welchen Platz ich errungen habe. Hat mein intensives Training für einen der vorderen Plätze gereicht, oder bin ich eine von Vielen?
Riku-kun greift nach meinem Zaumzeug und zieht mich sanft an sich heran. In der anderen Hand hält er die Trense, die er nun wieder zwischen meine Zähne drückt und befestigt. Anschließend bürstet er mithilfe einer kleinen Bürste meine Mähne wieder ordentlich. Danach klinkt er die Führleine an mein Zaumzeug und führt mich auf das Wettkampffeld zurück.
Mit jedem Schritt wächst meine Aufregung. Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen und zwinge mich dazu, ruhig zu atmen. Auf dem Feld haben sich schon einige Menschen mit ihren Uma-onna -Pferdfrauen- eingefunden. Einzeln oder in kleinen Gruppen stehen sie auf dem Sandplatz und warten darauf, dass es losgeht.
Riku-kun führt mich zu Watanabe-San, der etwas abseits steht. Da ergreift der Wettkampfleiter mit dem Megaphon das Wort. Schlagartig verstummen alle Gespräche.
?Minasama -Meine Damen und Herren-, jusho-shiki e yokoso! -herzlich willkommen zur Siegerehrung-!?
Er macht eine kurze Pause, in der das Publikum applaudiert.
?Alle Uma-onna -Pferdfrauen- haben tolle Leistungen gezeigt und ihr Können unter Beweis gestellt!? lobt er und spornt die Zuschauer mit einer erneuten Pause zu Beifall an.
Ich schnaube angespannt.
?Kommen wir nun also zur Siegerehrung!? verkündet er. ?Der dritte Platz geht mit 119 Punkten an Reiko-chan aus dem Gestüt Watanabe-San!?
Jubel brandet auf, während der Shujin meine Führleine greift und mit mir zum Treppchen geht, wo er den Preis lächelnd entgegennimmt. Mir steckt man eine weiße Turnierschleife ans Zaumzeug. Danach stellt sich der Shujin auf das Treppchen. Die Leine kurzhaltend, muss ich mich neben ihn stellen.
?Kommen wir nun zum zweiten Platz,? spricht der Wettkampfleiter in sein Megaphon. ?Er geht mit 121 Punkten an Etsu-chan -Freude- aus dem Gestüt Sato-San!?
Das Publikum applaudiert, und ein weiterer Herr führt seine Pferdfrau in Richtung Podium. Der Mann bekommt den Preis und die Uma-onna erhält eine graue Turnierschleife.
?Minasama -Meine Damen und Herren-, der erste Platz gebührt mit einer beeindruckenden Leistung von 129 Punkten Hoshi-chan aus dem Gestüt Tanaka-San!"
Ohrenbetäubender Beifall hallt vom Wettkampffeld. Ein Mann öffnet den Mund und reckt die Faust in die Luft. Er kommt mit seiner Uma-onna im Schlepp, die einen verstörten Gesichtsausdruck zeigt, zum Treppchen. Sie kann es im Moment wohl noch nicht so ganz glauben, dass sie den ersten Platz gemacht hat.
Der Wettkampfleiter gratuliert Tanaka-San und lobt die Leistung seiner Uma-onna, während das Publikum immer noch klatscht. Sie erhält die gelbe Turnierschleife und Tanaka-San den großen, goldenen Pokal des Champions.
Anschließend steigen sie auf ihren Treppchenplatz zwischen Etsu und mir. Blitzlichtgewitter blendet auf. Tanaka-San hält den Pokal hoch. Mit Tränen in den Augen lehnt sich Hoshi an der Schulter ihres Shujin an.
Endlich verlassen wir das Treppchen, darauf achtend, uns nicht gegenseitig zu behindern. Langsam gehen wir zu unserem Gespann. Riku-kun hat das Feldbett inzwischen zusammengeklappt. Neugierig schaut er mich an. Er erkennt die weiße Turnierschleife und grinst von Ohr zu Ohr.
?Ich wusste, dass du es schaffst!? meint er, legt seine Arme um meinen Oberkörper und drückt mich kraftvoll an sich.
Ich schnaube leise, um sein Kompliment zu erwidern. Er nimmt die Leine von Watanabe-San entgegen und führt mich in die Box des Anhängers. Danach fahren wir wieder zum Gestüt zurück.
An diesem Abend, zurück in meiner heimatlichen Box, kann ich zuerst noch nicht einschlafen. Aber nicht aus Nervosität, wie am Vorabend, sondern aus einem Glücksgefühl heraus. Ich habe auf Anhieb den dritten Platz geschafft! Ein zufriedenes Lächeln liegt auf meinem Gesicht. Bald nimmt mich der erholsame Schlaf dann doch in seine Arme und ich wechsele in das Land der Träume.

*

Am nächsten Tag haben alle Uma-onna Freizeit. Wir dürfen uns über die Koppel jagen oder unter der ausladenden Krone des Baumes auf der Grasfläche ausruhen.
Einen Tag später schon beginnt für mich das Grund-Training auf der Fläche, die man für das Springtraining abgetrennt hat. Hiko bekommt ihr erstes Dressur-Training. Auch ich muss zuerst einmal versuchen, über am Boden liegende Stangen zu laufen ohne sie mit den Hufen zu berühren.
Zuerst will Osawa-San, unsere Trainerin, dass ich im Schritt darüber gehe, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Einige Stunden später soll ich es im Trab versuchen. Das klappt zuerst gar nicht? und da ist es schon Mittag.
Nach einer Pause beginnt Osawa-San sich am Nachmittag mit Hiko zu beschäftigen. Sie soll zuerst einen Kreis um die Trainerin gehen und dabei möglichst genau ihren Ausgangspunkt wieder treffen. Dann ist der erste Trainingstag auch schon vorbei.
Sobald wir unsere Grundübungen in den unterschiedlichen Gangarten beherrschen, steigert Osawa-San den Schwierigkeitsgrad und beginnt die nächste Übung. So vergehen die folgenden Wochen. Nachdem ich anfangs immer noch Hiko zugeschaut und sie gedanklich mit mir verglichen habe, muss ich mich zunehmend auf mein eigenes Training konzentrieren. Riku-kun, mein Trainer für die Dressur, kümmert sich bald ganztägig um Hiko, während Osawa-San sich ganztägig um meine Fertigkeiten im Springen kümmert.
Irgendwann, ich kann die vergangene Zeit als Uma-onna nicht mehr so richtig abschätzen, sagt Osawa-San zu mir:
?Der Schujin hat dich beim nächsten Springturnier angemeldet. Wir sollten uns ab jetzt um den letzten Schliff kümmern!?