Reiko -18-
Hiko-chan scheint die Straße zu verlassen. Ohne lange zu überlegen mache ich es ihr nach. Während meine älteren Stallgenossinnen noch auf der Straße bleiben, durchwate ich den Straßengraben und trabe langsam schräg nach vorne über eine Wiese.
Der Boden ist nicht sehr eben, mit unserer Koppel überhaupt nicht zu vergleichen, also überwinde ich sie in langsamem Trab. Dadurch bekommen Ruri-chan und Nozomi-chan einen großen Vorsprung zu mir. Dann erreiche ich einen Feldweg, der parallel zur Straße verläuft. Zwischen den Spurrillen wächst Gras.
Dort trabe ich weiter. In einiger Entfernung erkenne ich einen kleinen Wald. Wenn Hiko-chan ihn erreicht, ist es uns fast unmöglich sie zu finden und zu stellen. Also beeile ich mich, ohne zu unvorsichtig zu sein, denn der Boden ist sehr uneben.
Irgendwann sehe ich linker Hand Nozomi-chan mitten in einem Kohlfeld.
?Aha!? denke ich mir. ?Auch sie hat sich entschieden hier herüber zu kommen. Doch, wo ist Ruri-chan? Die Beiden machen doch sonst immer alles gemeinsam??
Da sehe ich, dass Nozomi-chan ihren Mund öffnet, als wollte sie wiehern. Der Ton kommt nicht bis zu mir. Aber warum steht sie mitten in einem Feld, wiehert und hat die Verfolgung von Hiko-chan ganz offensichtlich aufgegeben?
Ich bleibe stehen und schreite vorsichtig zwischen den Kohlpflanzen hindurch auf Nozomi-chan zu. Beim Näherkommen höre ich sie tatsächlich wiehern. Ihr Ton hört sich sehr verzweifelt und ängstlich an. Fast habe ich sie erreicht, da sehe ich Ruri-chan mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegen. Ich lehne mich bei Nozomi-chan an und berühre ihre Wange mit meiner. Dann nicke ich und wiehere.
Ich bewege mich nun vorsichtig durch das Kohlfeld in Richtung Straße. Nachdem ich durch den Graben auf die Straße geklettert bin, wende ich mich nach rechts in Richtung Dorf. Ich trabe los und werde schnell schneller. Als ich die beiden Gespanne auf einer Wiese am Straßenrand sehe, werde ich langsamer und stoppe bei Watanabe-San.
Er hat mit Riku-kun und Osawa-San zusammengestanden und geredet. Das donnernde Geräusch meiner Hufe auf dem Asphalt lässt sie ihr Gespräch unterbrechen und mir entgegenschauen.
Bei ihnen angekommen, mit sich hebendem und senkendem Brustkorb, versuche ich zu wiehern und wende mich halb in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
?So wird das nichts,? meint Watanabe-San und sagt zu mir: ?Du darfst sprechen!?
Sofort sprudeln die Worte zwischen tiefen Atemzügen aus mir hervor:
?Sumimasen -Entschuldigung-, Watanabe-San. Ruri-chan liegt verletzt in einem Kohlfeld! Nozomi-chan steht bei ihr und ruft um Hilfe! Ich habe ohne Erlaubnis die Verfolgung von Hiko-chan aufgegeben, um Ihnen Bescheid zu sagen??
Watanabe-Sans Hand streckt sich nach meiner Wange und streicht sanft darüber. Dann greift er an meine Schulter und drückt mit dem Daumen auf mein Schlüsselbein. Er entscheidet:
?Vorläufig ist das Training für den Geländelauf beendet! Osawa-San, kommen Sie mit, bitte -kudasai-.?
Er setzt sich in einen der Geländewagen und fährt das Gespann auf die Straße. Aus dem Fenster ruft er vom Fahrersitz:
?Riku-kun! Kudasai -bitte-, warte hier auf die Ankunft von Hiko-chan. Reiko-chan, ich bin sehr stolz auf dich! Warte du mit Riku-kun hier!?
Anschließend fahren sie mit langsamer Geschwindigkeit den Weg ab, auf der Suche nach Nozomi-chan.

*

Ich, Hiko, habe den Waldweg erreicht ohne einen Kontakt zu meinen Stallgenossinnen zu bekommen. Allmählich werde ich unruhig. Ich verlasse den Wald und gehe im Schritt auf das Dorf zu, bereit sofort los zu galoppieren, wenn sich eine meiner Verfolgerinnen hinter mir zeigt.
Innerlich hat mich aber eine unbestimmte Unruhe ergriffen, so dass ich doch bald in einen leichten Trab verfalle. Je mehr ich mich dem Dorf nähere, desto schneller werde ich. Schließlich galoppiere ich in das Dorf hinein und orientiere mich nach links.
Sobald dort eine breitere Straße abgeht, nehme ich sie, in der Hoffnung zur Landstraße zu kommen und über sie das Dorf wieder zu verlassen. Bald habe ich die Abzweigung und wende mich wieder nach links aus dem Ort heraus.
Draußen, linker Hand auf einer Wiese steht ein Gespann, das mir bekannt vorkommt. Ich werde langsamer und sehe Riku-kun, den Dressur-Trainer, hinter dem Anhänger hervorkommen.
Bei ihm angekommen, empfängt er mich mit den Worten:
?Keine Sorge, Hiko-chan, das Geländerennen ist beendet und du hast gewonnen, da dich niemand gefangen hat. Allerdings hat sich Ruri-chan während der Verfolgung verletzt. Der Shujin kümmert sich darum. Komm in die Box, dann fahren wir nachhause zurück!?
Ich lasse mich von Riku-kun in eine Box führen und sehe dabei, dass die zweite Box von Reiko-chan belegt ist. Kurz nachdem der Trainer die Rampe fixiert hat, fährt er langsam von der Wiese herunter.
Unterwegs höre ich zweimal ein Motorrad am Gespann vorbeifahren. Im Stall angekommen höre ich den Shujin mit einem fremden Mann sprechen. Es geht um Ruri-chan. Sie hat einen Sehnenriss und muss das Bein ruhigstellen. Der Mann hat eine provisorische Schiene angelegt und will in den nächsten Tagen eine Kunststoffschiene mit Gelpolsterung bringen.
Während der nächsten Tage darf Ruri-chan ihre Box nicht verlassen.