Geräusche der Nacht -01
--Schatten des Mondes--

Februar 1609 Spessart
Marga versucht, sich zu erinnern. Es ist Winter. Der Schnee liegt kniehoch auf den Feldern. Sie ist Jungbäuerin auf einem Einödhof. Sie haben kein Tierfutter mehr. Nun ist die Ziege entlaufen. Wir brauchen ihre Milch. Clas, ihr Mann, ist im Wald unterwegs. Er will bis zum Abend Wildbret nachhause bringen. Sie hat den Krach im Stall gehört und ist schauen gegangen.

Ihr Verdacht hat sich bestätigt und nun folgt sie der Spur ihrer Ziege im Schnee in Richtung des kleinen Wäldchens, in der Hoffnung, bis zum Abend spätestens mit der Ziege wieder zurück zu sein. Spuren an der Rinde der Bäume geben ihr Gewißheit, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Wenn da nicht das weite Gewand wäre, das sie nur langsam im Schnee vorankommen lässt. Sie klammert sich an die Hoffnung, dass die Ziege sich an einem Gebüsch gütlich tut und sich einfach einfangen lässt.

Es ist bitterkalt. Aber sie brauchen die Ziege! Plötzlich wird sie von einem riesigen Schatten angesprungen. Eine kräftige Pranke reißt sie von den Füßen. Ein Jäger aus dem Dorf, dass man in einem halben Tagesmarsch erreicht? Oder wird sie gerade das Opfer eines Landsknechts? Marga schreit gellend auf. In höchster Not, ruft sie nach Clas. Vielleicht hört ihr Mann sie ja.

Dann spürt sie heißen Atem und die längliche Schnauze eines riesigen Wolfes nähert sich ihr. Das Untier schnappt nur zu. Sie versinkt in den grauen barmherzigen Schleiern einer Ohnmacht. Als sie erwacht, befindet sie sich an einem anderen Ort.

Sie wendet den Kopf. Hat sie die Mühsal des Erdendaseins hinter sich gelassen? Ein junger Mann, nur wenig älter als sie, sitzt neben ihr auf einer Wiese. Kein Schnee! Schmetterlinge umtanzen sie.

"Wo bin ich? Was ist passiert?" fragt sie und setzt sich auf.

"Ein Werwolf hat Euch erwischt, junge Frau," antwortet er.

Dabei zeigt er eine ernste und gleichzeitig besorgte Miene.

"Ich bin der Hannes," stellt er sich vor.

Besorgt schaue ich auf mein Gewand, aber es ist alles In Ordnung. Niemand hat sich gewaltsam Zugang verschafft. Hannes sieht mich mein Gewand überprüfen und lächelt.

"Keine Angst, junge Frau. Ich war zufällig in der Nähe und konnte das verhindern. Ich habe den Werwolf besinnungslos geschlagen. Es ist nicht leicht gewesen. Der Kampf wird eine starke Spur im Schnee hinterlassen haben. Ihr wart vor Schreck bewusstlos geworden. Ich habe Euch hierhergetragen, um Euch nicht den Werwölfen zu überlassen."

"Dann muss ich Euch wohl danken, Hannes. Könnt Ihr mich zu meinem Ehemann führen?"

Er schüttelt bedauernd den Kopf.

"Euer Mann wird nicht mehr leben. Der Werwolf streift sicher nicht alleine durch die Gegend. Sein Rudel wird in der Nähe gewesen sein. Auch wird der Blutdurst des Werwolfes erwacht sein, nachdem er seines Opfers beraubt worden ist. Außerdem tragt Ihr seine Saat in Euch. Nun gilt es, die Saat auf einen guten Weg zu bringen!"

"Wie meint Ihr das?"

"Er hat Euch verletzt. Entweder wollte er aus Euch ein weibliches Mitglied seines Rudels machen, oder er konnte Euch nicht fressen, weil ich ihn gestört habe. Sein Speichel ist jedenfalls in Eure Wunde gekommen."

"Nun werde ich auch ein Werwolf? Seid Ihr auch einer?" fragt sie ängstlich und rückt etwas von dem jungen Mann ab.