Geräusche der Nacht -02
Hannes schüttelt den Kopf und erklärt ihr:
"Ihr seid wohl ein Tier in menschlichem Körper. Wenn Ihr das Tier beherrschen lernt, ist fast alles gut. Beim nächsten Vollmond verwandelt Ihr Euch das erste Mal. Ihr müsst einige Regeln beachten, dann könnt Ihr das Tier in Euch beherrschen. Lasst Ihr Euch aber gehen, lasst Ihr den tierischen Instinkten freien Lauf, werdet Ihr ein Werwolf werden. Anderenfalls seid Ihr halt ein Gestaltwandler. Ihr steht damit in der Tradition von Romulus und Remus. Romulus wurde ein Werwolf, Remus ein Wandler. Irgendwann hat Romulus seinen Bruder getötet. Seitdem gibt es die Konkurrenz zwischen uns. Wir töten nicht! Wir müssen uns nur vor den Werwölfen in Acht nehmen."

"Und wo bin ich nun?"

"An einem sicheren Ort. Hier findet Euch niemand. Hier werden wir Euch lehren, was Ihr wissen müsst. Dann müsst Ihr wieder in die Welt zurückkehren. Ihr werdet sehr alt werden - und dabei nicht altern."

"Wer ist 'Wir'?"

"Drei keltische Druiden haben diesen Ort geschaffen und geben uns das Wissen, das wir brauchen. Sie sind ebenfalls schon sehr alt. Und natürlich die Gestaltwandler. Zurzeit sind wir beide allerdings die Einzigen hier. Wenn Ihr wollt, bringe ich Euch jetzt zu Aidan -Feuer-, Gwydion -derLeuchtende- und Ulik -starkerBeschützer-."

Hannes, der auf einem Grashalm herumgekaut hat, erhebt sich nun.

"Kommt, junge Frau. Ich bringe Euch zu den Druiden."

Er hält ihr einladend die Hand hin und sie greift danach, um sich hochzuziehen. Während sie nebeneinander den grasbewachsenen Hang erklimmen, erkennt sie, dass sie auf eine riesige knorrige Eiche zugehen. Sie muss einen Umfang von mindestens vier Männern haben. Hannes fragt sie unterwegs:

"Darf ich Euren Namen erfahren, junge Frau?"

Sie nickt und antwortet nach einer Gedankenpause:
"Mein Name ist Marga."

Hannes lächelt. Er sagt:
"Willkommen, Marga!"

An der Eiche angekommen, umrunden sie den mächtigen Stamm um etwa ein Drittel. Marga erkennt, dass der Stamm hohl ist. Hannes führt sie in die Spalte. Drinnen führt eine Treppe in einem Wendel in die Tiefe. Es wird dunkel. Nach wenigen Minuten sieht sie vor sich flackernden Feuerschein. Es ist eine Fackel, die in einer eisernen Fassung steckt. Hannes nimmt die Fackel in die Hand und leuchtet den weiteren Weg aus. Es geht in einer Art Tunnel schräg abwärts bis sie vor einer schweren Eichentür ankommen, die mit eisernen Beschlägen in einem ebensolchen Rahmen befestigt ist.

Hannes steckt die Fackel in eine leere Fassung neben der Tür, nachdem er sie in einem Fass voll Regenwasser gelöscht hat. Nun umgibt sie tiefschwarze Dunkelheit. Er schlägt dreimal gegen die Tür, noch einmal und dann noch zweimal. Kurz darauf bewegt sich die schwere Tür nach außen auf sie zu. Der helle Spalt wird breiter. Sie weichen dem Türflügel aus und Hannes begrüßt den Mann, der ihnen öffnet.

"Gott zum Gruße, Meister Aidan. Ich habe Rufus eine Beute abgejagt. Oder er wollte diese junge Dame in sein Rudel eingliedern. Jedenfalls hat er sie gebissen und wollte über sie herfallen, als ich dazwischen ging und ihn daran hinderte."