Geräusche der Nacht -63
Wir haben schönstes Wetter. Die Sonne strahlt. Bäume und Sträucher bekommen erste Knospen. Ich verlasse Gelnhausen am Rand der Hauptstraße, um später, draußen in den Feldern, auf einen der Schotterwege abzubiegen.

‚Die Natur erwacht,' formt sich als Gedanke in meinem Kopf. Es stimmt mich froh.

Weiter vorne steht ein Kleintransporter am Straßenrand. Daneben kauert jemand am Rand des Straßengrabens. Als ich den Mann erreicht habe, frage ich ihn freundlich:

„Kann ich helfen?“

Er schaut zu mir auf. Seine angespannte Miene zeigt nun Freude. In gebrochenem Deutsch sagt er:

„Jo, schien ze trewe Sie.“

Er erhebt sich dabei. Es scheint, dass er irgendwo aus der Ecke Afghanistan, Turkmenistan, oder so kommt. In seiner Hand hält er eine Sprühflasche, aus der er mir plötzlich irgendetwas ins Gesicht sprüht. Mir wird schwarz vor Augen.

Als ich wieder wach werde, sitze ich angeschnallt in diesem Kleintransporter. Der Mann sitzt neben mir und vor uns sitzt ein Mann hinter dem Steuer. Draußen hat die Abenddämmerung eingesetzt. Wir biegen gerade in einen Feldweg ein. In einiger Entfernung kann ich eine Hütte erkennen. Ich frage den Mann empört:

„Ist das hier eine Entführung? Was soll das Ganze?“

„Ich dir watt zeige will!“

„Und wenn ich gar kein Interesse habe?“

„Dao kannsch nett zrick. Dao bess ain vun us.“

„Wieso?“

„Dao hasch bkumme de Wolfsbiss,“ meint er und tippt mir auf die Schulter.

Dann zeigt er mir seine Fingerkuppe, auf der sich ein wenig Blut befindet. Sofort greife ich auch dorthin und habe nun selbst etwas Blut an meinem Zeigefinger.

„Kaan Bang,“ meint er und lächelt mich an. „Morge es allet faheilt.“

In diesem Moment hält der Wagen vor der Hütte. Der Fahrer steigt aus und öffnet zwei Flügel eines Tores. Dann setzt er den Wagen in die Hütte. Mein Beifahrer steigt nun ebenfalls aus und kommt an die Beifahrertür auf meiner Seite. Er öffnet sie mir und sagt:

„Dao bess us Gascht. Bidde aussteige.“

Ich schnalle mich ab und rutsche vom Sitz. Der Mann öffnet eine Tür in der Seitenwand und lässt mich hindurchgehen. Nun stehe ich in einem großen Raum, der von den Außenwänden der Hütte und der Garage begrenzt wird. Vor mir sitzen ein halbes Dutzend Leute, darunter eine Frau. Alle nur notdürftig mit irgendwelchen Tüchern bekleidet. Ein Mann steht an der gemauerten Feuerstelle und brät Fleisch am Spieß.

„Wer seid ihr?“ frage ich verwundert.

„Ich Arkadij, am Feuer Sergej. Und das hier Vera ist!“

Bei letzterem Namen zeigt er auf die Frau. Sicher denkt er, dass die Namen fürs Erste reichen müssen.

„Und was macht ihr hier?“

„Wir wulle uns ansiedele. Ka Welfe mea hia. Dat ass schie.“