Geräusche der Nacht -66
Nun laufe ich weiter. Mich wundert dabei, dass ich immer noch nicht außer Atem bin. Der fremde Duft wird nach einer Weile stärker. Ich drehe mich im Laufen und schaue zurück. Dabei meine ich, einen Schatten zwischen den Bäumen erspäht zu haben. Ich drehe mich wieder in meine ursprüngliche Laufrichtung.
Bald darauf erreiche ich eine Lichtung. Friedlich grasende Rehe heben ruckartig ihre Köpfe und stieben davon. Ich muss den Impuls ihnen nachzujagen unterdrücken. Weiter geht es, wieder in die Dunkelheit unter den Bäumen hinein. Plötzlich stoppe ich abrupt, denn vor mir tut sich eine Schlucht auf. Während ich um mein Gleichgewicht ringe, umfasst eine fremde Person meine Hüften und eine weibliche Stimme spricht mich in sanftem Tonfall an:
"Hey du! Du kannst jetzt aufhören wegzurennen. Du bist angekommen."
Mit einem Schrei will ich mich befreien, doch die Fremde ist überraschend stark. Im fahlen Mondlicht sehe ich eine Frau vor mir, von schlanker, zierlicher Gestalt. Feuerrote Locken fallen ihr von den Schultern. Sie trägt ein leichtes Leinenkleid und ist barfuß.
"Mein Name ist Grete. Ich bin gekommen, um dich abzuholen," stellt sie sich mit weicher freundlicher Stimme vor.
"Aber, woher weißt du...?" frage ich verunsichert.
"Du hast Arkadij verlassen, eine weise Entscheidung! Aber du kannst nicht alleine und wild im Wald leben. Du brauchst Lehrmeister, die dich auf deine Verwandlung vorbereiten."
'Woher weiß sie...' frage ich mich in Gedanken und 'fühle ihr auf den Zahn':
"Du bist wie er?"
"Nein!" Grete schüttelt heftig den Kopf. "Ich bin Tag. Er ist Nacht. Ich bin Sonne. Er ist Mond. Wir sind wie die zwei Seiten eines Centstücks."
Ich nicke und gebe meinen Widerstand auf. Hat Vera mich nicht auf 'die Anderen' aufmerksam gemacht?
"Komm mit," bietet Grete mir an. "Wir zeigen und erklären dir alles."
"Wer ist 'wir'?" frage ich zurückhaltend.
"Drei Wächter-Druiden und ich hier."
Ich seufze. Die Fremde hat etwas Vertrauenerweckendes. Etwas in meinem Inneren löst sich und ich beginne zu schluchzen wie ein Kind. Was ich erlebt habe, bricht sich seine Bahn. Grete streicht über mein Haar und sagt nichts. Plötzlich wird mir schwindlig. Die Bäume scheinen sich immer schneller um mich zu drehen.
Im nächsten Moment befinde ich mich auf einer Wiese vor einer leichten Anhöhe, auf deren Spitze eine riesige Eiche steht. Grete nimmt meine Hand und gemeinsam nähern wir uns dem Baum auf der Spitze des Hügels.
Unterwegs fragt sie mich:
"Wie heißt du?"
"Mein Name ist Laura," antworte ich.
Grete lächelt mir zu. Es ist ein warmes Lächeln.
"Willkommen, Laura!" begrüßt sie mich.
Je näher wir der Eiche kommen, desto besser kann ich eine Höhlung im Stamm erkennen. Grete führt mich dort hinein. Drinnen führt eine Wendeltreppe in die Tiefe. Es wird dunkel. Nach wenigen Minuten erkenne ich vor mir eine flackernde Fackel, die in einer eisernen Fassung steckt. Grete nimmt die Fackel heraus und leuchtet den weiteren Weg mit ihr aus.
hrpeter am 10. Mai 24
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