Geräusche der Nacht -85
"Das ist das Problem, das wir Gestaltwandler alle haben, Laura. Sobald aus einer Freundschaft zu einem Menschen mehr wird. Das wirst du irgendwann auch feststellen. Wir altern äußerlich kaum. Daher sehen wir den geliebten Menschen neben uns äußerlich immer älter werden und irgendwann müssen wir ihn begraben. Wir dürfen daran nichts ändern! Also bleibt nur, uns dankbar an ihn zu erinnern, wenn er uns vorausgegangen ist.
Der Mensch, mit dem wir leben, muss aufkommende Eifersucht auf Jüngere unbedingt mitteilen, damit wir uns richtig zu verhalten wissen. Meist ist diese Eifersucht ja auch nur irrational! Aber sie quält.
Das Problem sind eigentlich immer die Mitmenschen, die tuscheln. Sie verstehen nicht, dass Menschen mit äußerlich großem Altersunterschied zusammenleben wollen. Darum wohnen wir getrennt, besuchen uns aber natürlich gegenseitig."

'Ah, stimmt,' denke ich. 'Während er ein Gestaltwandler ist, ist sie ja durch und durch Mensch. Die Beiden führen also eine lockere Freundschaft, die es ihnen ermöglicht, unter den Augen der Öffentlichkeit zusammen zu sein. Schließlich altert Enie normal, und so verändert sich der Altersabstand zwischen Beiden für unbedarfte Beobachter von Jahr zu Jahr.'

Die Vereinbarung entspringt der nüchternen Betrachtung der Gegebenheiten. Darüber muss ich lange grübeln. Ich treffe in den Clubs immer wieder junge Männer. Leider ist bisher noch nie jemand darunter gewesen, mit dem ich eine Beziehung beginnen wollte. Ich habe den Eindruck, dass die Meisten dort aufschlagen, um 'ein Mädchen aufzureißen'. Sie wechseln viel zu schnell zum Thema Sex. So schnell bin ich jedoch nicht.

Dadurch, dass ich nun Gestaltwandlerin bin, traue ich mich auch alleine einen Club zu besuchen. Früher bin ich von Gelnhausen nach Frankfurt gefahren und habe mich immer mit Freunden verabredet, um diese Schmeißfliegen von mir fernzuhalten. Inzwischen vertraue ich auf die Körperkraft der Wölfin in mir.

*

Wieder einmal habe ich mich zurecht gemacht, um einen der Clubs auf den Ringen zu besuchen. Ich bin mit der U-Bahn hergekommen, weil auf den Ringen nur wenig Parkplätze zu finden sind. Meine wenigen Utensilien passen in eine Gürteltasche.

Nachdem ich mir an der Theke ein Cocktail bestellt habe, mustere ich die Tanzfläche. Ich nehme einen Zug aus dem Strohhalm und stürze mich ins Getümmel. Als ich nach einiger Zeit ins Schwitzen gekommen bin, will ich kurz Pause machen. Ich gehe in Richtung der Toiletten davon, denn meine Schminke muss sicher erneuert werden.

Bevor ich die Tür der Damentoilette erreicht habe, baggert mich ein Typ von der Seite an.

"Heiß hier, was?"

"Ja, gewaltig heiß," antworte ich ihm, den Geräuschpegel laut übertönend.

Er kommt mir für mein Gefühl zu nahe. Als er meine Hüfte berührt, explodiert etwas in mir. Kurz darauf krümmt er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht und hält sich sein Gemächt. Ich gehe sofort zum Ausgang und verlasse das Etablissement.

Mir ist heute nicht mehr danach, einen anderen Club zu suchen. Stattdessen betrete ich die U-Bahn, um nachhause zu fahren. Während ich die Treppe abwärts gehe, kommen mir zwei Typen entgegen. Als wir auf gleicher Höhe sind, heben sie sich etwas vor Mund und Nase und sprühen mich aus einer Kartusche an. Mein Gehirn fühlt sich an, als wäre es in Watte gepackt. Kurz darauf wird es Nacht um mich.