Geräusche der Nacht -91
Hier auf der Nordhalbkugel wird es bald Winter. Zu Allerheiligen endet mein Saisonvertrag. Allerdings hat man mir von Seiten der Reederei versprochen, mich zu Beginn der Karwoche im nächsten Jahr wieder einzustellen.

Auf der Südhalbkugel der Erde wird es jetzt bald Sommer. Namibia kenne ich noch nicht. Also sage ich zu. Ich bin gleichermaßen gespannt auf das Reiseland, indem auch Deutsch gesprochen wird, wie auf den langen Flug dorthin. Es ist mein erster Flug überhaupt. Hannes kümmert sich um die Flugkarten.

*

--November 2021 Swakopmund--

Wir sitzen in der Abflughalle im Köln-Bonner Flughafen. Die Formalitäten sind soweit erledigt. Nun warten wir auf den Aufruf unserer Maschine. Sie wird uns in 15 Stunden nach Windhuk bringen. Inklusive der Abflug- und Ankunftsformalitäten sind wir damit 19 Stunden unterwegs.

Endlich wird unser Flug aufgerufen und das Gate bekanntgegeben. Wir erheben uns und gehen darauf zu. Über die Gangway betreten wir das Flugzeug und suchen unsere Sitzplätze, die Hannes nebeneinanderliegend gebucht hat. Dort machen wir es uns gemütlich. Enie verteilt Kaugummis für den Druckausgleich. Hannes bedankt sich und nickt.

"Bei einem Luftschiff hat man keine Probleme mit dem Druckausgleich," meint er.

"Bist du schon einmal im Luftschiff geflogen?" frage ich, Laura, interessiert.

Er nickt lächelnd.

"Das war 1934..."

Er unterbricht sich, weil die Stewardess vorbeischaut. Sie überprüft, ob wir vorschriftsmäßig angeschnallt sind. Dann spüre ich Vibrationen und kurz darauf kippt das Flugzeug in einem irren Winkel nach oben, so dass wir in den Sitz gedrückt werden.

Ich versuche, mich zur Ruhe zu zwingen, um ein wenig Schlaf auf dem langen Flug zu finden. Ich muss meine ganze Willenskraft dafür aufwenden, die Wölfin in mir ruhig zu halten. Denn sie drängt nach draußen, wie ich unangenehm spüre. Nachdem wir die Reiseflughöhe erreicht haben, kippt das Flugzeug wieder in die Horizontale. Wir können die Gurte ablegen und aufstehen. Aber durch den Mittelgang joggen ist einfach unmöglich.

Die Wölfin fühlt sich eingeengt. Fast kann ich ihr Fell an der Innenseite meiner Haut fühlen. Sie will raus und jagen. Ich versuche es mit Meditation.

"Laura? Alles okay bei dir?" fragt Hannes.

"Nichts ist okay," presse ich zwischen den Zähnen hervor.

Er wittert meinen Stress. Jetzt wird mir auch noch schlecht. Die Wölfin kämpft. Sie drückt von innen gegen meine Haut. Hannes holt einen Flachmann aus seiner Jackentasche. Er schraubt den Deckel auf und tröpfelt mir etwas von dem Inhalt auf den Kragen meiner Strickweste. Ich schaue ihn an, spüre aber sofort die beruhigende Wirkung.

"Baldrian!" erklärt er.

Ich möchte nicht wissen, was die Passagiere um uns herum denken. Wenigstens beruhigt sich die Wölfin und ich bin bald eingeschlafen. Als ich aufwache, sehe ich auf dem Bildschirm in der Rückenlehne des Sitzes vor mir, dass wir uns dem Ziel nähern. Es dauert noch zwei Stunden bis das Flugzeug in den Landeanflug übergeht. Hannes hat das Baldrian immer wieder erneuert.

Dann rollt das Flugzeug aus und wir dürfen aufstehen. Wenige Minuten später stehen wir in der Ankunftshalle. Nun heißt es, Geduld haben bis wir unsere Koffer in Händen haben. Danach schauen wir uns nach einem Mietwagen um. Bald darauf befinden wir uns auf dem Highway B2. Nun dauert es noch 3 und eine halbe Stunde bis wir Swakopmund an Namibias Atlantikküste erreichen. Die Fahrt empfinde ich als weitaus angenehmer.