Geräusche der Nacht -102
---Grete, die Wächterin---

-November 1943 Koblenz-
Ich, Grete, die Gestaltwandlerin, habe in meinem über 400jährigen Leben schon viele Nachnamen getragen und mich fast immer konsequent aus Beziehungen zu Uneingeweihten herausgehalten. Mehr als Freundschaften habe ich mir nicht zumuten wollen, da ich als Wächterin ja auch noch auf Gestaltwandler achten muss, die in der Vergangenheit in 'Dair' auf ihr neues Leben unter Uneingeweihten vorbereitet worden sind.

Das ist allerdings nicht immer reibungslos vonstattengegangen. So habe ich in den Wirren des letzten großen Krieges in Europa als Rotkreuzhelferin in Koblenz gearbeitet. An einem wunderschönen Tag mit klarem Himmel beginnt die Luftschutzsirene zu heulen und ruft die Einwohner in die Bunker. Ich helfe einigen Müttern mit ihren Kindern, deren Männer und Väter als Soldaten an der Front kämpfen.

Ich laufe wieder zurück, um Nachzüglern zu helfen, da verdunkelt sich der Himmel und das Brummen von Flugzeugmotoren liegt in der Luft. Diesmal sieht man keine Jagdflugzeuge am Himmel, sondern es sind dickbauchige Tiefflieger. Da fallen schon die ersten Bomben. Der Feind legt einen regelrechten Bombenteppich aus. Überall sieht man Explosionen wie aus unzähligen Vulkanen.

So schnell wie die feindlichen Flugzeuge gekommen sind, sind sie auch wieder verschwunden. In einer nahen Straßenkreuzung klafft ein Krater. Die unmittelbar angrenzenden Gebäude sind nur noch Schuttberge. Ich habe mich nicht beeilt in einen Bunker zu kommen, denn entweder ich komme im Bombenhagel um, oder ich kann Menschenleben retten, ist mein Gedanke.
Viele, die es nicht in den Bunker geschafft haben, sind umgekommen. Einige wenige heben ihre Köpfe aus ihren Verstecken, als die Flugzeuge weg sind, genauso wie auch ich.

Ich wittere und erschnüffele einen kleinen Jungen, der unter Schock steht. Er liegt in einem kleinen Hohlraum in dem Trümmerberg an der Straßenkreuzung vor mir und sein Körper weist Verletzungen durch herabgefallene Steine auf. Sofort beginne ich, mir einen Weg durch die Trümmer zu bahnen. Als Gestaltwandlerin habe ich Körperkräfte wie ein Bodybuilder. Trotzdem rufe ich:

"Helft mir! Hier sind Leute verschüttet! Helft mir in Gottes Namen!"

Bald sind wir eine Handvoll Leute, die sich durch die Trümmer wühlen. Sie halten sich intuitiv alle in die Richtung, die ich verfolge. Endlich sind wir zu dem Jungen vorgedrungen. Die Männer, die mit mir graben, legen noch eine Frau von Mitte 30 und ein vielleicht 7jähriges Mädchen frei. Beide haben den Bombenangriff nicht überlebt. Um die Finger der Frau liegt ein Rosenkranz.
Ich nehme den Jungen auf meine Arme und erkläre den Männern:

"Ich bringe ihn zu einem Arzt!"

Nachdem ich außer Sichtweite bin, lasse ich einen Tropfen aus einer kleinen bauchigen Flasche auf den Boden fallen und sage laut 'Dair'. Ein kleiner Wirbelsturm entsteht, in dessen Auge wir uns jetzt befinden. Er nimmt uns mit sich und sofort wechselt die Umgebung. Jetzt befinde ich mich am Fuß einer Anhöhe, auf deren Spitze eine riesige knorrige Eiche wächst.