Geräusche der Nacht -106
--April 1964 Trier--

Zwölf Jahre später gehe ich wieder nach Trier zurück. Solange niemand einen Ausweis sehen will, bin ich sicher, sage ich mir. Ich nenne mich nun Rosa Franck, habe meine rotblonden und kinnlangen Haare dunkelbraun gefärbt. Mein Helmut wird jetzt 25 Jahre alt sein.

Ich betrete die Bäckerei in der Südallee. Frau Pauly steht hinter der Ladentheke und spricht mich an:

"Guude Morjen! Wat kann ejch fier Se dunn?"

"E Brietscha, bidde!"

Frau Pauly geht zur Wanne innen unterhalb des Schaufensters, angelt ein Brötchen und schiebt es in eine kleine Tüte mit der Aufschrift 'Bäckerei Pauly'. Nun schaut sie mich freundlich lächelnd an und erklärt:

"Fennef Pennig, bidde!"

Ich hole mein Portemonnaie hervor und gebe ihr die kleine Münze. In diesem Moment klingelt das Telefon in einer Nische. Frau Pauly geht dorthin und nimmt das Gespräch an:

"Bäckerei Pauly?"

Sie hört eine Weile zu und antwortet dann:
"Ah, hallo, Helmut!... Du weißt, das muss dein Vater entscheiden! Aber ich spreche gern mit ihm darüber... Auf Wiedersehen, mein Junge. Viel Glück!"

Da ich in der Ladentür stehengeblieben bin, schüttet sie mir ihr Herz aus:
"Das war mein Ziehsohn gewesen. Er hat den Meisterbrief gerade bestanden. Nun möchte er eine eigene Bäckerei aufmachen. Er scheint etwas gefunden zu haben, aber um sie herzurichten ist noch viel Geld nötig! Ob mein Mann ihm einen Kredit gibt?"

"Jungen Leuten darf man keine Steine in den Weg legen!" meine ich. "Man muss an ihre Fähigkeiten glauben! - Wo soll denn der neue Laden entstehen?"

"In der Hermesstraße. Da gibt es noch einiges an Trümmern wegzuräumen! Aber es wird mit Hochdruck gearbeitet und Leute ziehen dorthin. Man hat auch schon eine Kirche neu erbaut."

"Na, dann bekommt er dort immer mehr Kunden. Eine wunderbare Gegend für einen Neubeginn!"

"Ja, tatsächlich! Aber - entschuldigen Sie - ich halte Sie bestimmt auf! - Auf Wiedersehen, und beehren Sie uns bald wieder."

"Auf Wiedersehen!" antworte ich und mache die Ladentür hinter mir zu.

Ich lächele beim Weggehen still in mich hinein. Frau Pauly, meine ehemalige Chefin, hat mich nach der Änderung von Frisur und Kleidung nicht wiedererkannt!

Meine Schritte lenken mich zum Kreisel an den Kaiserthermen. Ich gehe durch die Unterführung zur Ostallee und drücke das Brötchen halb aus der Tüte. Jetzt beiße ich herzhaft hinein. Die Parallelstraße zur Olewiger Straße ist die Hermesstraße, die von der Ostallee abgeht. An einer Litfaßsäule vorbei komme ich zu einer Verbreiterung des Bürgersteigs. Dort wird intensiv gearbeitet. Zwei Schaufenster, dazwischen ein Treppenhaus und darüber zwei große Wohnungen auf zwei Etagen kann ich erkennen. Ich spreche einen der Handwerker an:

"Guude Morjen. Können Sie mir sagen, was hier entsteht?"