Geräusche der Nacht -107
„Neist Neies, gnä Frolein. Hier waren vor dem Krieg schon eine Bäckerei und eine Metzgerei. Wir bauen sie und die Wohnungen darüber wieder auf.“

„Ah, dat es schien! Dann weiß ich, wo ich bald einkaufen kann.“

Ich nicke ihm lächelnd zu und gehe weiter.

*

In der lokalen Tageszeitung ‚Volksfreund‘ lese ich kurz darauf, dass die Bäckerei, in der ich kurz nach dem Krieg bis Mitte der 50er Jahre gearbeitet habe, eine Hochzeit feiert. Neugierig gehe ich zur Basilika St. Matthias und setze mich in eine hintere Bank, um dem Einzug des Brautpaares zuzuschauen.

Bald schreiten vier Messdiener an mir vorbei, gefolgt von dem Brautpaar und den Eltern der Brautleute. Mein Helmut ist in den letzten Jahren etwas fülliger geworden. Seine Braut, bei ihm eingehakt, hat lockige dunkelbraune Haare und wache blaue Augen. Beider Gesichter strahlen vor Glück. Hinter ihnen geht gemessenen Schrittes Herr Pauly. Er führt in seinen Armen zwei Frauen in Festkleidung an den Altar. Rechts von ihm hat sich die Chefin eingehakt. In der linken Ellenbeuge führt er eine mir fremde Frau. Ich nehme an, dass es die verwitwete Brautmutter ist.

Die Brautleute stellen sich vor der Treppe zum Altar an einer Kniebank auf und werden vom Priester begrüßt. Herr Pauly geht mit seiner Frau und der Brautmutter rechts in die erste Bank. Dann beginnt die zweistündige Brautmesse in lateinischer Sprache. Nach der Segnung und der Danksagung verlassen die Brautleute unter dem Gesang der Gläubigen die Basilika.

Die Hochzeitsfeier wird im Pfarrsaal gefeiert. Auch ich gehe dorthin und setze mich weit hinten auf einen freien Platz. Im Laufe der Feier frage ich meine Tischnachbarin, wer denn die Braut ist. Sie erklärt mir:

„Sie ist die Tochter des Schmieds Klaus Ewen aus Kasel im Hunsrück und seiner Frau Käthe. Der Vater ist leider in Russland gefallen. Nach dem Krieg hat Frau Ewen sich und ihre Tochter Theresa durch Näharbeiten ernährt. Die Braut hat als Kind die reparierten Kleidungsstücke zu den Kunden gebracht. Dabei haben sich die Brautleute kennengelernt. Ihr Hochzeitskleid hat sie selbst genäht, munkelt man.“

Beim letzten Satz zwinkert sie mir zu, als würde sie mir ein Geheimnis verraten.

„Ah,“ antworte ich lächelnd. „Sie ist eine wunderbare Braut! – Und der Bräutigam ist der Sohn der Eheleute Pauly, denen die Bäckerei gehört…“

„Nicht wirklich. Der Bräutigam ist der Ziehsohn des Bäckers,“ präsentiert mir die Frau stolz ihr Wissen über die Familienverhältnisse. „Seine Mutter ist Kriegerwitwe und hat lange Jahre als Verkäuferin in der Bäckerei gearbeitet, bis sie bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Von da an haben sich die Paulys liebevoll um ihn gekümmert. Er heißt Franck mit Nachnamen.“

„Oh,“ mache ich und tue erschreckt.

Nicht lange nach der Hochzeit sind die Geschäfte und Wohnungen in der Hermesstraße bezugsfertig. Helmut eröffnet seine ‚Bäckerei-Konditorei Franck‘ und zieht mit Frau und Schwiegermutter in die direkt darüberliegende Wohnung ein. Er stellt zwei Gesellen und zwei Verkäuferinnen ein. Die Backstube hat er unter sich und überlässt seiner jungen Frau den Verkauf. Ich selbst werde infolge zu seiner Stammkundin.