Geräusche der Nacht -113
Als Wolf kann ich nicht sprechen, also wandele ich mich wieder zurück, ziehe mir mein Hemdkleid wieder an und antworte:

"In uns allen wirkt ein sogenanntes inneres Tier. Im Laufe der Evolution hat der Mensch seine animalische Vergangenheit zurückgelassen, aber trotz aller Rationalität kann er seine Emotionalität nicht völlig abstreifen.
Sie bricht sich bei einigen Menschen Bahn. Verursacht wird es durch Mikroben im Blut und sichtbar wird es durch die Wandlung. Dabei tritt das innere Tier zutage. Das ist wie, wenn ein Schmetterling sich aus seiner Puppe befreit - mit dem Unterschied, dass der Schmetterling die leere Puppe zurücklässt. In der Wandlung tauscht das innere Wesen nur seinen Platz. Es kommt zum Vorschein, während der Mensch dann zu dessen inneren Wesen wird.
Mit einiger Übung kann der Mensch im Wolf dessen Handlungen steuern. Er muss nur die Bedürfnisse seines inneren Wesens kennen und befriedigen. Das kann direkt geschehen, oder indem man dem Tier etwas Vergleichbares bietet, das harmlos ist."

"Hm," macht Laura. "Wie entwickelt sich dieser Wolf zum Werwolf und was ist dann der Unterschied zum Gestaltwandler?"

"Ich habe dir gerade den Gestaltwandler beschrieben, Laura. Der Unterschied zum Werwolf ist eine reine Charaktersache: Lässt du nach der Wandlung das Tier gewähren, übernimmt es mehr und mehr die Kontrolle über dich. Du darfst dich niemals dem Zorn hingeben! Du darfst niemals einen anderen Menschen töten! Erweise der Natur deinen Respekt, indem du auch Tiere nicht tötest, um der Lust am töten zu frönen, sondern allenfalls, um dich zu ernähren."

"Ein Werwolf ist also eher ein schwacher Charakter?"

"Ja, vereinfacht könnte man es so beschreiben. Es gibt unter den Menschen aber auch bösartige Charaktere. Werden sie von ihrer animalischen Natur übernommen, dann Gnade uns Gott! Aber auch diese Werwölfe dürfen wir nicht töten, selbst dann nicht, wenn sie uns einen Kampf auf Leben und Tod aufzwingen!"

"Oh," macht Laura und schaut mich erschreckt an.

"Hab' keine Angst, dich einem Kampf zu stellen, der dir aufgezwungen wird, Laura!" ermutige ich sie. "Du verfügst in der tierischen Gestalt über animalische Kräfte! - Und dein Gegenüber hat ganz sicher eine Schwachstelle, zeigt eine Blöße, die du als rational denkendes Wesen im Innern deiner tierischen Gestalt herausfinden und nutzen kannst, wenn du dein Tier zu steuern vermagst."

"Wie kann ich den Wolf steuern?" fragt Laura.

In ihren Augen glimmt ein Funken Hoffnung, gepaart mit Interesse.

"Ich gebe dir einmal als Beispiel einen Hundebesitzer: Er kennt sein Tier, weiß, dass in ihm ein großer Bewegungsdrang existiert. Deshalb geht er mit seinem Hund ab und zu auf einen Dog-Agility-Platz und lässt ihn sich auspowern. Dazwischen nützt es, wenn man regelmäßig joggt oder Rad fährt, während der Hund nebenher läuft. Auch versorgen sie den Hund liebevoll, bieten ihm Fressen an, statt ihn jagen zu lassen.
Genauso musst du mit deinem inneren Wolf umgehen, dann gehorcht er dir, weil ein starkes Band des Vertrauens gewachsen ist. So kannst du einen Werwolf in seinem frühen Stadium zum Gestaltwandler machen. Selten gelingt das, wenn derjenige schon lange Werwolf ist. Dann muss derjenige seit seiner ersten Wandlung eine Aversion gegen Menschenfleisch entwickelt haben."