Sonntag, 5. Juni 2022
Gepard-Prinzessin 04
Von größeren menschlichen Ansiedlungen halten wir uns fern. Bald erreichen wir eine Küste, an deren Horizont wieder Felsen zu sehen sind. Wir haben einen Fischer mit einem Teil der bunten Blätter für das Übersetzen über die Meerenge bezahlt.

Tage darauf erreichen wir eine künstliche Strandformation in Form einer Palme. Davon haben die Ranger gesprochen. Wir zählen 35 Villen. Wo wird unsere Gepard-Prinzessin gefangen gehalten? Sind wir überhaupt auf der richtigen Fährte?

*

Das Ehepaar Katorow sitzt in ihrer Villa auf der Palme. Fjodor Katorow hat mit Tagebau in Sibirien einige hundert Millionen Dollar gemacht und davon diese Villa in den Emiraten gekauft. Von hier unternimmt er mit seiner Frau Sybilla Katorowa gerne Safaries. Beim letzten Ausflug in Südafrika hat sich Sybilla in eine menschliche Gepardin verliebt. Fjodor hat Leuten einer benachbarten Sippe viel Geld gegeben und mit drei Narkosegewehren ausgestattet.

Sie haben ihnen die menschliche Gepardin gebracht. Anschließend ist das Ehepaar Katorow mit dem Privatflugzeug eines befreundeten Geschäftsmannes zurückgeflogen. Das Gepardfell haben sie als Trophäe an die Wand im Eingangsbereich gehängt und daran zwei Speere mit Knochenspitzen gekreuzt platziert.

Die Katorows haben sich eine Dokumentation über Geparden gekauft, um während der nächsten neunzig Minuten einerseits wieder ein Feeling von Afrika zu erhalten und andererseits einige Verhaltensweisen ihrer menschlichen Gepardin besser verstehen zu können. Fjodor sagt sich, die Afrikaner mit ursprünglicher Lebensweise sind näher an der Tierwelt dran und können sie daher auch täuschend echt nachahmen.

So, jedenfalls, kommt ihm das Verhalten 'Simba's' vor, wie Sybilla das Wesen genannt hat. Nach wenigen Tagen schon hat sich deren Körperbemalung aufgelöst und einer hellbraunen, fast gelben Haut Platz gemacht. Fjodor hat ihr ein Halsband angelegt. So können sie mit Simba an der Leine draußen spazieren gehen.

Jetzt sitzen sie aber im Wohnzimmer in bequemen Sesseln. Simba liegt vor seinen Füßen und döst vor sich hin. Sie liegt überhaupt die meiste Zeit des Tages nur herum und schläft nachts, wie er festgestellt hat. Vor ihnen hängt ein beinahe wandgroßer Bildschirm. Die Dokumentation startet.

Der Titel "Zuma - Das Leben einer Gepardin" läuft über den Bildschirm vor einer undeutlichen Steppenlandschaft mit hohem Gras und vereinzelten Bäumen.

Nach einer kalten Nacht kommt die Sonne langsam über den Horizont und überflutet die Steppe mit orange-rotem Licht. Langsam kommt damit auch die Wärme zurück. Tau verdampft und Nebelschwaden ziehen tief über die ursprüngliche Landschaft. Sie färben das Sonnenlicht stellenweise in ein merkwürdiges milchiges Weiß.

Grillen beginnen wieder mit ihrem immerwährenden Konzert. In der Nähe stehen Gnus und Zebras in dichten Herden und äsen die feuchten, frischen Gräser ab.

Eine einsame Gepardin liegt noch faul im dichten Gestrüpp, döst vor sich hin und genießt die wärmenden Sonnenstrahlen. Ihre Mutter hat ihr in den vergangenen Monaten viel beigebracht. Nun ist sie auf sich selbst gestellt und ihr Instinkt leitet sie auf unsichtbaren Wegen. Ihr Gespür ist das einzige, woran sie sich im Augenblick halten kann.