Geräusche der Nacht -59
'Jetzt haben wir nichts mehr, um ihn zu locken!' denke ich und laufe ein Stück vor, als Wolfi das Kotelett hinuntergeschlungen hat. Tatsächlich folgt mir Wolfi. Ich versetze mich gedanklich in eine Situation, in der zwei Hunde sich im Spiel gegenseitig jagen. Es klappt. Matze bleibt dabei und öffnet rechtzeitig das Gehege. Ich laufe hinein und locke Wolfi weiter, mir zu folgen. Hinter dem Wolf schließt Matze das Gehege wieder. Dann fragt er:

"Und wie soll es nun weitergehen?"

"Ruf' einen Tierarzt an, wenn du meinst Wolfi braucht Impfungen. Der Mann soll ein Betäubungsgewehr mitbringen. Während Wolfi schläft, kann er in Ruhe arbeiten - und du hast dein Impfbuch. Ich kann dann auch das Gehege verlassen."

*

Bis hierhin habe ich die Geschichte gelesen. Ich muss schmunzeln und schicke Bastian die Geschichte ebenfalls. Dann übergebe ich Marga das Tablet, als sie am Nachmittag aus der Uni kommt. Sie liest und muss ebenfalls schmunzeln:

"Da hat sich unser guter Herr Beltz aber ein harmloses Setting ausgedacht," meint sie. "Das wird so etwas wie ein Jugendroman. Ein pubertierendes Mädel wird selbständig. Die Gefahren des Erwachsenseins in Form eines Raubtieres werden romantisiert, um nicht zu sagen 'verharmlost'."

"Na, wenn das alles ist, was er aus den Szenen herauszieht, die Sophia und Bastian ihm vorgespielt haben, soll es mir recht sein," antworte ich lächelnd. "Vielleicht bringt das als Jugendbuch wirklich genug Honorar."

Marga zuckt lächelnd mit den Schultern. Als wir uns später im Café treffen, äußern sich Sophia und Bastian ähnlich. Insgeheim hätte ich eher gedacht, er schreibt einen Krimi, nachdem er uns über die Zeitungsberichte zur Entführung kennengelernt hat. Andererseits bin ich froh, dass er weder einen Krimi zusammenphantasiert hat, noch zwischen die Fronten von Werwölfen und Gestaltwandlern geraten ist. Letzteres hätte er womöglich nicht überlebt.

Man sollte jedenfalls niemals sein Schicksal herausfordern und einem Werwolf über den Weg laufen. Die Gefahr besteht zurzeit latent ständig, da das Revier im Augenblick wolfsfrei ist. Die Frage ist dabei immer 'Wie lange noch? Wann sickert der erste Werwolf in das freigewordene Revier ein?'

Bastian fragt in die Runde, ob er ausgehend von der Vorlage des Autors die Geschichte einmal aus der Sicht des Wolfes schreiben soll. Herr Beltz bekäme dadurch bestimmt einige Einblicke, die er vielleicht zu nutzen versteht - oder auch nicht. Marga schmunzelt.

"Bestimmt macht unser Schriftsteller danach große Augen. Bisher hat sich noch niemand die Mühe gemacht, sich in ein Tier hinein zu fühlen."

"Wer sich noch nie mit seinem inneren Tier auseinandergesetzt hat, weil er kategorisch abstreitet ein Tier zu sein, beziehungsweise in seinem Inneren mit sich herum zu tragen, sei es nun aus Ignoranz oder Angst vor der Erkenntnis, der kann sich kaum in das Seelenleben seines Haustieres einfühlen. Stattdessen wird er behaupten, Tiere könnten keine Freude oder Trauer fühlen, oder jede andere Emotion auch... Okay, Bastian! Schreib mal was, ausgehend von der Vorlage."

Ein paar Tage darauf bringt Bastian mir eine Word-Datei.