Geräusche der Nacht -64
"Ihr seid also Einwanderer, die Asyl beantragt haben, weil ihr in eurer Heimat nicht mehr leben könnt?"

"Su ass et. In us Heimat san pletzlich bees Welf aufgetaucht. Sej hann us fatriebe."

Inzwischen wird das gebratene Fleisch verteilt. Auch ich bekomme meinen Teil ab. Dazu bringt mir Arkadij einen Becher warme Milch. Ich habe einen merkwürdigen Heißhunger auf Fleisch. Das kenne ich sonst von mir nicht. Später schlafe ich erschöpft ein.

Am nächsten Morgen, heute ist Sonntag, erwache ich als die Morgendämmerung einsetzt. Ein Fenster der Hütte geht wohl nach Osten hinaus. Ich kann einen wunderschönen, farbenfrohen Sonnenaufgang beobachten. Nur die Frau, Vera, befindet sich mit mir in der Hütte. Aber es dauert nicht lange, bis die Männer zurückkommen. Sie tragen ein Reh herein.

Alle beteiligen sich nun an der Vorbereitung des Frühstücks. Vera zeigt mir dabei, wie man dem Wild das Fell abzieht und es ausweidet. Dann wird es zerteilt und auf mehrere Spieße gesteckt. Inzwischen brennt das Feuer schon und bald ist das Reh gar und wird unter uns aufgeteilt. Ich verspüre einen Hunger, wie noch nie und die Gerüche von der Feuerstelle sind so dermaßen intensiv, wie ich das noch nie verspürt habe.

Während ich mit den Zähnen das Fleisch von meiner Keule abreiße, kommt mir wieder der Traum in den Sinn, den ich vergangene Nacht gehabt habe: Ich hätte ein Reh im Wald aufgescheucht und zu Tode gehetzt. Dann hätte ich meine Zähne in das Tier geschlagen, das rohe, noch warme Fleisch gierig verschlungen und das Blut getrunken.

Nach ein paar Minuten nähert sich mir die Frau aus der Gruppe mit einer halben Keule. Will sie ihr Frühstück mit mir teilen?

"Welt eze?" fragt sie.

Gerade hat mich mein Traum gefesselt. Daher erschrecke ich mich beinahe.

"Eze, bfor andre!" wiederholt sie ihre Aufforderung.

Mein Hunger ist noch nicht gestillt. Also nehme ich ihr die halbe Keule gerne ab. Mit den Fingern pflücke ich Fleischstücke ab und frage:

"Warum tragt ihr keine normale Kleidung?"

"Kleidung braoche wir nett," antwortet sie. "Wir san kaan Minsche."

Ich schaue mein Gegenüber groß an und frage:
"Aber ihr wart doch einmal Menschen?"

"Jo, awer wir hawe det Minschsei erlawe mett de Biss."

Ich streiche mir sanft über meine Schulter. Gestern ist da noch Blut gewesen.

"Du meinst...?" frage ich unsicher.

"Jo, nu bess dao een vun us. Wann de negsch Vollmond kummt, dao welt alewe dai erschd Wandlung."

"Tut das weh?" frage ich sie ängstlich.

Sie schüttelt vehement den Kopf.

"Naa, naa! Bluus ungewohnt. Vunn dann kannschd dao di imma widda wandeln, wann dao magschd."

Die Männer verlassen die Hütte nach dem Frühstück in Zweiergruppen. Eine Gruppe nimmt auch das Auto mit. Vera meint, sie wollen damit in die Stadt, nach Gelnhausen hineinfahren. Ich wage es nicht, sie nach dem Grund zu fragen.