Sonntag, 5. März 2023
Wolfskind -05
Eines Morgens wache ich auf und sehe Blut an meinen Oberschenkeln. Mama beginnt sofort mit dem Ritual, das mich zur Frau macht. Magische Zeichen malt sie mit einer Paste aus Holzkohle und Fett auf meine Haut und spricht im Beisein der alten Frauen unseres Clans Gebete an Manitou und unser Totem, den Wolf.

Einige Tage darauf, inzwischen weiß der ganze Clan davon, bin ich wieder einmal im Wald unterwegs, um für die Schamanin Kräuter und Pilze zu sammeln. Plötzlich erhalte ich einen gewaltigen Stoß in den Rücken, der mich vornüber stolpern lässt. Mich umwendend erkenne ich den jungen Mann, dessen Frau ich niemals sein möchte. Ich laufe weg.

Immer wieder schaue ich über meine Schultern, aber er bleibt mir auf den Fersen. Wieder erhalte ich einen Stoß in den Rücken. Diesmal falle ich auf den Bauch. Bevor ich mich am Boden drehen kann, packen mich zwei starke Hände und drehen mich auf den Rücken. Ich sträube mich, aber es gelingt mir nicht, mich aus dem Griff zu befreien.

Ich schaue in das hassverzerrte Gesicht des jungen Mannes, der mich nach meiner Initiation als Erster angesprochen hat. Vor Verzweiflung beginne ich zu weinen und stoße einen langgezogenen Schrei aus, wie es die Wölfe tun, wenn sie sich sammeln.

Vielleicht eine Minute später, während ich mich verzweifelt wehre, brechen zwei Hände voll Wölfe zwischen den Bäumen hervor. Sie knurren gefährlich und haben ihre Zähne gefletscht, während sie uns einfach überrennen.
Der Angreifer, der auf mir liegt, rappelt sich nun auf und sucht sein Heil in der Flucht.

Die Wölfe sind stehengeblieben, haben sich zu uns umgewandt und drohen. Nachdem der Mann ein paar Meter Abstand zu mir hat, laufen sie hinter ihm her. Zusammen verschwinden sie unter den Bäumen.

Einer der Wölfe ist stehengeblieben. Nun nähert er sich mir ganz langsam. Ich bleibe ganz ruhig auf dem Rücken liegen. Als er mich erreicht, legt er sich mit Körperkontakt neben mich ab. Ich wende mich ihm zu und nähere mich mit meiner Hand vorsichtig seinem Kopf. Sanft streiche ich ihm zwischen den Ohren über das Fell. Er genießt meine dankbaren Zärtlichkeiten.

Plötzlich höre ich einen Schrei, gefolgt von einem Grollen, wie von einem Steinschlag. Bald darauf ist das Rudel zurück bei mir. Sie zeigen mir gegenüber keine Drohgebärden. Der Alpharüde an meiner Seite erhebt sich nun, stupst mich mit der Nase an und verlässt mich. Kurz darauf ist das ganze Rudel zwischen den Birken verschwunden.

Auch ich erhebe mich und gehe langsam in unsere Siedlung zurück. Leider bringe ich meiner Mama heute keine Kräuter und Pilze aus dem Wald. Stattdessen setze ich mich stumm neben sie und lehne mich bei ihr an. Sie lässt mich zur Ruhe kommen.

*