Mittwoch, 29. März 2023
Wolfskind -13
Neben mir angekommen, legt er sich ab und lässt etwas aus seinem Maul fallen. Ich sehe, dass er mir einen Zweig mitgebracht hat. Ich streiche ihm zärtlich über die Stirn und kraule seine Ohren. Nun nähern sich auch die anderen Wölfe. Minuten später sind Mary und ich von einem großen Rudel umringt. Dem Alpharüden gegenüber hat sich ein Wolf niedergelassen und sich leicht auf die Seite gedreht, so dass man zwei Reihen Zitzen auf dem Bauch sehen kann. Sie reckt sich und stupst Mary sanft mit der Nase an.

Mary drückt sich furchtsam an mich, schaut aber neugierig auf die Tiere um uns herum, die sich vollkommen friedlich verhalten. Ich habe fast den Eindruck, dass wir in ihren Augen zu ihrem Rudel dazu gehören. Ich versuche ihr die Furcht zu nehmen, indem ich sie auf die Stirn küsse. Wieder strecke ich meine Hand nach dem Rüden aus und streichele ihn.

Meine Kleine schaut interessiert zu und streckt dann auch ihr Händchen nach dem Rüden aus. Ich lächele und schlage ihr vor:

"Liebes, schau! Hier liegt auch deine Hebamme. Sie hat bei deiner Geburt liebevoll geholfen."

Ich zeige auf die Wölfin auf der anderen Seite. Mary dreht ihr Köpfchen und schaut die Wölfin an. Meine Kleine erhebt sich, macht einen Schritt auf die Wölfin zu, beugt sich zu ihr hinunter und umarmt sie mit ihren kurzen Ärmchen. Dann legt sich Mary eng an die Wölfin.

Nun öffne ich die Kühlbox und verteile die Rehkeulen an das Rudel. Ich warte, bis die Wölfe mein Geschenk verspeist haben. Danach erhebe ich mich, streiche dem Alpharüden und seiner Gefährtin noch einmal über den Kopf und nehme Mary auf den Arm.

Ich gehe zum Auto zurück und setze Mary in ihren Kindersitz. Anschließend setze ich mich auf den Fahrersitz, drehe das Seitenfenster herunter und heule kurz wie ein Wolf. Das Rudel hat sich erhoben und antwortet mir. Danach wende ich den Wagen und fahre in unseren Ort zurück.

*

Jahre danach kommt Gibaa Mary in die Primary School von Clearwater. Eine der Lehrerinnen begleitet die Lieder der Kinder im Musikunterricht mit einer Geige. Irgendwann zeigt sie den Kindern was die Geige alles kann und ahmt damit Geräusche der Natur nach. Täuschend echt hören die Kinder den Wind pfeifen, Vogelstimmen und Wölfe heulen.

Das fasziniert unsere Kleine so sehr, dass sie uns in den Ohren liegt, ihr ebenfalls eine Geige zu kaufen, damit sie darauf üben kann. Clyde ist nicht sehr erbaut von Marys Wunsch, denn eine Konzertgeige ist nicht billig.

Natürlich pflichte ich ihm bei, aber ich erkläre ihm:
"Sie braucht in ihrem Alter erst einmal eine Schülergeige. Für ihre Größe ist eine ½ Geige gerade richtig. Die ist nicht so teuer. Vielleicht können wir für Mary auch eine gebrauchte Geige bekommen. Lass‘ ihr doch die Freude!"

"Freude? Das ist zuerst einmal harte Arbeit, bis vernünftige Töne zu hören sind!" meint er.