Sonntag, 22. Dezember 2019
Eine Session (6)
„Fast richtig gemacht,“ kommentiere ich ihre Aktion. „Bist ein gutes Mädchen! Diese Aktion soll das Kommando ‚ROLL!‘ trainieren. Statt einem Halbkreis hast du es jetzt erst einmal zu einem Viertelkreis geschafft.“
Diesmal bleibt das Leckerlie aus.
Nach mehrmaligem Üben hat sie es endlich raus und erhält schließlich doch noch ihr Leckerlie.
Nun gehe ich zum Couchtisch und nehme den Kunststoffknochen auf, um ihn gleich darauf in eine Ecke des Raumes zu werfen. Dabei sage ich „HOL!“
In Ilonas Augen blitzt es kurz auf. Sie läuft zum Knochen, beugt sich hinunter und nimmt ihn mit dem Mund auf. Langsam schleicht sie näher und hält mir den Knochen hin. Ich halte die Hand unter den Knochen, sage „AB!“ und zeige ihr wieder ein Gummibärchen.
Statt mir den Knochen in die Hand fallen zu lassen, schüttelt sie den Kopf. Lachfältchen bilden sich in den Augenwinkeln. Sie macht einen Schritt rückwärts. Meine Hand schnellt vor und greift den Knochen an einem Ende.
Ilona produziert ein knurrendes Geräusch und macht noch einen halben Schritt weiter zurück. Ich lasse jedoch nicht los, und so entwickelt sich ein kleiner Wettkampf im Zerren. Nach etwa einer Minute überlasse ich ihr den Knochen und äußere mich breit grinsend:
„Du hast nicht losgelassen, nur etwas geknurrt. Das Knurren bedeutet in dieser Situation ‚MEINS!‘ Das folgende Zerren ist ein beliebtes Spiel bei Hunden. Manchmal sieht man sie dabei auch grinsen. Dass du damit einmal die Initiative an dich gerissen und getan hast, was dir in den Sinn kam, war genau richtig, mein Mädchen! So etwas mach gerne öfter! Denn ein Hund ist ein fühlendes Lebewesen und kein Roboter, der nur auf Kommandos reagiert.“
Ich schaue auf die Uhr und meine dann:
„Ich habe jetzt Hunger. Ich mache mir einen Cappu und esse dazu etwas Gebäck. Möchtest du auch Cappu, Tee oder Wasser?“
Ilona schaut zu mir auf und meint nur „Wuff!“
‚Hm,‘ denke ich und frage sie: „Wasser?“
„Wuff!“
„Okay, dann auch darin wie ein Hund! Aber ich fülle dir das Wasser in eine Trinkflasche, die ich dir zum Trinken hinhalte. Ein Schokocroissant schneide ich dir in mundgerechte Stücke und lege sie dir in eine Schale.“
Jetzt bin ich erst einmal zehn Minuten mit den Vorbereitungen beschäftigt. Schließlich bringe ich eine Thermosflasche mit Cappu und eine Trinkflasche mit Mundstück, wie sie Radrennfahrer benutzen, gefüllt mit Wasser an den Couchtisch. Danach bringe ich eine Schale mit ihrem vorbereiteten Schokocroissant und einen Teller mit Gebäck zum Couchtisch. Ihre Schale stelle ich neben die Couch, setze mich und schütte mir eine Tasse voll Cappuccino.
Nun beginne ich meine Nachmittagskaffeetafel. Zwischendurch schaue ich immer einmal nach Ilona. Zuerst beäugt sie misstrauisch ihr kleingeschnittenes Schokocroissant. Danach beugt sie die Ellbogen, um die Stücke mit dem Mund zu erreichen. Nach den ersten zwei Bissen hat sie es raus und es scheint ihr Spaß zu machen. Sie ist fast fertig, als sie zu mir aufschaut und zu fiepen beginnt. Dann folgt ein „Wau!“, worauf sie wieder fiept. Ich greife nach ihrer Flasche und schon lächelt meine Doggie. Also öffne ich die Flasche und lasse sie trinken. Danach isst sie den Rest ihrer Mahlzeit auf.
So ist Ilona früher als ich fertig. Um in Ruhe weiter essen zu können, will ich sie noch etwas mit ihrem Spielzeug beschäftigen und greife nach dem neu gekauften Knotenball. Sie erhebt sich auf alle Viere und krabbelt rund um den Couchtisch. Bevor ich ihr den Knotenball zum Spielen anbieten kann, ist sie mit einem Hüpfer neben mir auf der Couch und legt sich ab. Dabei beobachtet sie mich aufmerksam, so als frage sie sich:
‚Wie reagiert er jetzt wohl darauf?‘
Ich schaue sie lächelnd an und sage, während ich den letzten Cappu trinke:
„Das Springen auf die Couch ist ein zweischneidiges Schwert! Viele Owner, aber auch Herrchen echter Hunde, mögen das nicht! Ich schlage einen Kompromiss vor: Bei mir ist es erlaubt, bei Fremden nicht! Eigentlich solltest du auch hier vor der Couch warten, bis ich ‚HOPP!‘ sage. Wenn dein spontanes Gefühl dir sagt, dich neben mich zu legen, um Streicheleinheiten zu erlangen, ist das auch okay.
Was passiert jetzt? Ein anderes Herrchen würde dich schimpfend wieder herunterschicken, aber du hattest inzwischen die Genugtuung, es geschafft und mich in einem unaufmerksamen Moment ausgetrickst zu haben. Dafür gibt es nun natürlich kein Leckerlie oder Lob! Aber warum sollte ich es auf eine Kraftprobe ankommen lassen, oder dich gar schlagen? Das würde ein vernünftiges Herrchen auch mit seinem echten Hund nicht machen.“
Nach einer kurzen Pause frage ich sie:
„Ist es das, was du erreichen wolltest? Meine Reaktion testen? Oder wolltest du kuscheln kommen? Hunde genießen auch einmal die Nähe zu ihren Herrchen, wollen gestreichelt werden…“
Ilona nickt.
„Okay,“ sage ich, und frage: „Kennst du den Film ‚The Pet‘?“
Jetzt schüttelt sie den Kopf und schaut mich an.



Eine Session (5)
„Gleich spielen!“ entscheidet sie.
„Gut,“ meine ich. „Dann geh erst einmal auf alle Viere.“
Sie lässt sich auf alle Viere herunter und schaut zu mir auf.
„Versetze dich jetzt einmal in einen Hund,“ baue ich ein Szenario auf. „Tiere sind emotionale Geschöpfe. Sie handeln nicht aus rationalen Überlegungen heraus, sondern tun spontan, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Sie sind außerdem sehr neugierig und aus der Vierfüßler-Perspektive sieht für dich vieles anders aus.
Denk dir einmal folgendes: Ich habe dich aus dem Tierheim zu mir nachhause geholt. Die Umgebung hier ist dir völlig neu. Also läufst du neugierig schnuppernd durch die Wohnung und schaust dich um. Wenn dir das zu langweilig wird, kommst du zu mir und verlangst Aufmerksamkeit…“
Ilona nickt und schaut sich auf allen Vieren um. Sie geht an der Möblierung entlang und schaut in die Lücken, zwischendurch immer wieder ein Schulter-blick zu mir. Dann hat sie die Küchentür erreicht und entfernt sich damit aus meinem Blickfeld. In der Zwischenzeit habe ich mich auf die Couch gesetzt und den Inhalt der Einkaufstüte auf dem Couchtisch ausgebreitet.
Von einer gewissen Unruhe getrieben stehe ich aber wieder auf, um zu schauen, was sie in der Küche treibt. Aber da kommt sie mir schon entgegen. Ich mache ihr Platz im Durchgang und folge ihr zur Couch zurück.
„Die Dinge sehen aus dieser Perspektive ganz anders aus?“ frage ich.
Sie nickt und meint: „Wuff!“
Ich nehme ihr Halsband vom Couchtisch und sage: „BEI FUSS!“
Ilona nähert sich mir und lässt sich ihr Halsband anlegen. Es dauert etwas, bis ich die Größe angepasst habe und es locker sitzt. Da fällt mir etwas ein.
„Ach!“ sage ich und gehe zurück in die Küche.
Dort nehme ich eine Tüte Gummibärchen aus dem Schrank und schaue mich um. Natürlich! Sie ist mir neugierig gefolgt. Ich nehme also ein Gummibärchen aus der Tüte und drücke es ihr zwischen die Lippen.
„Gutes Mädchen!“ sage ich dazu. „Das Kommando eben kanntest du schon oder du hast es intuitiv richtig gemacht!“
Ich fahre ihr sanft durchs Haar und rede weiter:
„Das meinte ich in den Gesprächen immer mit ‚positiver Verstärkung‘, Motivation durch Lob und Belohnung. Möchtest du jetzt mehr Kommandotraining machen?“
Wieder bekomme ich ein „Wuff!“ zur Antwort.
Ich lächele und sage:
„Eins noch vorweg: Wenn du zwischendurch zur Toilette musst, dann geh zur Flurtüre und drücke mit einer Vorderpfote dagegen! Ich lasse dich dann hinaus und du gehst wie ein Mensch ins Bad. Nachher gehst du im Flur wieder auf alle Viere… Die Pause in der Session muss sein!“
Sie bestätigt wieder mit einem „Wuff!“
Nun nehme ich ein neues Gummibärchen aus der der Tüte, zeige es ihr stumm und führe es mit der Hand über ihren Kopf in Richtung ihres Rückens. Sie folgt meiner Hand mit den Augen und setzt sich dabei unwillkürlich auf ihre Fersen. Sofort sage ich „SITZ!“ und gebe ihr das Gummibärchen. Dabei erkläre ich:
„Siehst du! So funktioniert ‚positive Verstärkung‘ beim Kommandotraining: Ein Hund versteht nicht, was ich sage. Er bekommt nur die Gefühle mit, die in den Tonfolgen mitschwingen. Wiederkehrende Laute in Verbindung mit einem Leckerlie merkt er sich aber so, dass die Kommandos bald auch ohne Leckerlie funktionieren. Natürlich darf das Lob nie ausbleiben…
Apropos Gefühle: Tiere sind Gefühlsmenschen, sagte ich ja bereits. Also lass ruhig deine Gefühle heraus in deiner Rolle als Hund! Alles was gerade in dir hochkommt! Das Ausleben deiner Gefühle, die du ja im rationalen Alltag meist unterdrückst, fördert die Entspannung, von der so viele Petplayer nach einer Session sprechen.“
Während meiner letzten Worte habe ich ein neues Leckerlie aus der Tüte genommen, zeige es ihr jetzt und führe es vor ihr in Richtung Boden. Wieder folgt sie meiner Hand mit dem Mund und beugt dafür ihre Ellbogen. Ich drücke mit der anderen Hand auf ihren Allerwertesten, damit sie gleichzeitig hinten tiefer geht. Nachdem sie mit gebeugten Ellbogen und Knien auf dem Boden hockt, sage ich „PLATZ!“ und gebe ihr das Gummibärchen.
„Siehst du, so geht das,“ erkläre ich. „Jetzt vielleicht etwas Schwierigeres: Schau genau hin, was meine Hand macht!“
Mit einem neuen Leckerlie in der Hand, beschreibe ich mehrmals mit ihr einen Halbkreis in der Luft. Sie schaut mir eine Weile zu, dann sieht sie mich fragend an.
Ich berühre mit dem Leckerlie ihre Wange sanft. Dann halte ich es etwas weg und beschreibe den Halbkreis in der Luft nun in Zeitlupe. Ilona lässt sich auf die Seite falle und schaut zu mir auf.