Wolfskind -06
'Wolfskind', wie die junge Menschin von ihresgleichen genannt wird, seit sie mit meinem Pelz zu ihrer Familie zurückgekehrt ist, kommt eines Tages in den Wald gelaufen. Voller Angst schaut sie zwischen den Birken immer wieder hinter sich. Sie wird von einem Menschen aus ihrer Gruppe verfolgt.
Ich führe das neue Rudel in die Nähe.

Nun hat der Mensch 'Wolfskind' erreicht und wirft sie um. Die Menschin fällt auf den Bauch. Der Mensch verströmt triumphierende Gefühle. Er dreht sie auf den Rücken und nestelt an ihrem Fell herum. 'Wolfskind' ist voller Adrenalin und Angstgefühlen.

Das Rudel hat die beiden Menschen erreicht. Es überrennt sie und der Rudelführer schnappt dabei kurz zu. Dann stoppen die Tiere und schauen zurück. Nun verströmt der Mensch, der auf ihr gelegen hat, ebenfalls Angst. Er rappelt sich auf und rennt kopflos davon.

Während der Rudelführer sich 'Wolfskind' vorsichtig nähert, hetzt das Rudel den Menschen durch den Wald. Er rennt kopflos auf eine Schlucht zu und fällt rutschend und Purzelbäume schlagend die steile Wand hinunter. Am Fuß der Schlucht fließt ein Wildbach. Dort bleibt er liegen und rührt sich nicht mehr. Das Rudel schaut ihm vom Rand der Schlucht hinterher.

Der Rudelführer hat 'Wolfskind' erreicht und legt sich neben der Menschin ab. Er drückt sich an sie. Bald wendet sie sich ihm zu und streicht ihm zwischen den Ohren über den Kopf. Er genießt es und auch ich fühle große Zuneigung für 'Wolfskind'. Dann ist das Rudel wieder heran und der Rudelführer erhebt sich, um die unterbrochene Jagd mit dem Rudel wieder aufzunehmen.

Irgendwann verliebt sich 'Wolfskind' in einen jungen Mann und im Laufe mehrerer Sommer bekommen sie drei Welpen. Bei Menschen dauert es viele Sommer, bis die Welpen so selbständig sind wie unsere Jährlinge. Dann schenken sie 'Wolfskind' Enkel. Ihre Mutter ist inzwischen heimgegangen. Vorher hat sie ihrer Tochter ihr Wissen über die Kräuter der Natur und die Geisterwelt weitergegeben.

Nach vielen Sommern stirbt auch 'Wolfskind' als altgewordene Menschin. Nun bin ich frei, mir einen anderen jungen Wolf zu suchen, der noch im Mutterleib heranwächst, um ein neues Leben zu beginnen. Ich werde noch viele Male wiedergeboren. Die Welt um uns verändert sich rasch. Die Wälder werden kleiner. Die Menschen bewegen sich neuerdings in lauten und stinkenden Untieren fort.

Wir halten uns in den Sommern von ihnen fern. In den Wintern kommen wir ihnen zwangsläufig näher, bleiben aber immer vorsichtig auf Abstand.

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