Freitag, 2. Dezember 2022
Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 45
Nun lebe ich schon ein halbes Jahr in der Unterwelt Son Doong. 'Hang' heißt auf Vietnamesisch einfach 'Höhle'. Ich arbeite an einer künstlichen Intelligenz für den menschenähnlichen Roboter 'Primus' meines Arbeitgebers Mister Meave. Diese Arbeit kann man von überall auf der Welt durchführen. Warum also nicht auch von hier?

Bei meinem früheren Arbeitgeber ist dazu noch ein Riesenspeicher nötig gewesen. Mein Ehrgeiz liegt nun darin, dass alles, inklusive der Batterien und Servermotoren, in einen Roboter von der Größe eines Menschen passt.

Wenn ich Nahrungsmittel oder Kleidung brauche, finde ich das auf Parterre im Innenhof meines Wohnblocks. Habe ich spezielle Wünsche der Freizeitgestaltung, muss ich über einen kilometerlangen Pedway einen anderen Wohnblock aufsuchen. Aber das ist kein Problem für mich. Nach stundenlangem Sitzen vor dem Computerbildschirm ist ein Spaziergang wie eine Meditation. Er hilft mir auf andere Gedanken zu kommen.

Einmal habe ich mich etwas verspätet, um rechtzeitig ein Theaterstück zu erreichen. Also bin ich zur Concierge ins Foyer gegangen und habe gefragt:

"Mrs. Miller, ist der Pedway eigentlich die einzige Verbindung zwischen den Wohnblocks? Gibt es hier unten keine Fahrzeuge?"

Sie schaut von ihrem Sitzplatz hinter dem Tresen auf und erklärt:
"Sie brauchen nur eine Rikscha zu rufen. Die bringt Sie überall hin, wohin Sie mögen."

"Oh," mache ich. "Sind Sie dann bitte so freundlich?"

'Da muss ich in der Broschüre in meiner Wohnung wohl etwas übersehen haben,' denke ich mir.

Mrs. Miller telefoniert und bittet mich dann Platz zu nehmen, bis die Rikscha da ist. Ich gehe zu der Gruppe von Sesseln an der gegenüberliegenden Wand neben dem Treppenhaus und setze mich. Wenige Minuten später betritt ein Mann das Foyer von draußen und fragt:

"Hat hier jemand nach einer Passage gefragt?"

Ich erhebe mich und gehe auf den Mann zu. Ihn begrüßend, frage ich nach einer Passage zum Theater. Der Mann nickt und wendet sich zur Außentür. Ich folge ihm und als ich nach draußen trete, sehe ich unter der Balustrade eine zweirädrige Kutsche stehen. Der 'Kutschgaul' lässt mich im Schritt verharren. Ich bin im ersten Moment sprachlos. Die Rikscha wird von einem muskulösen Mann gezogen, der über ein Kopfgeschirr gelenkt wird, wie ein Pferd.

Etwas einfältig schaue ich den Mann neben mir an, der sich gerade auf die Sitzbank schwingen will.

"Die Rikscha wird von einem Mann gezogen?" frage ich.

Er nickt und fordert mich auf, mich neben ihn zu setzen.

"Oder haben Sie es sich anders überlegt?"

Ich schüttele den Kopf und schwinge mich neben ihn auf die Sitzbank. Mein Nebenmann schnalzt mit der Zunge und bewegt die lockeren Zügel ruckartig auf und ab. Der Mann im Geschirr zieht an und die Rikscha setzt sich in Bewegung. Sie biegt auf die Straße ein und der Mann vorne trabt mit Leichtigkeit los.

"Sie haben hier unten weder Autos noch Pferde?" frage ich den Rikschafahrer.

"Nein," erklärt er mir. "Mister Meave hat eine Anzeigenserie gestartet, um interessierte Menschen zu finden, die für eine Zeitlang in die Rolle eines Pet schlüpfen wollen. Ich bin selbst überrascht, dass er mit einer solchen Anzeige Erfolg hatte. Aber... Sie sehen ja. Informieren Sie sich gerne im Intranet über alles Weitere."