Wolfskind -07
Wieder einmal habe ich mit einer Wölfin eine Familie gegründet. Unser Rudel umfasst meine Gefährtin und mich, sowie vier überlebende Jährlinge. Zwei unserer Welpen sind im Laufe des Sommers verstorben. Jetzt ist es wieder Winter und der Schnee reicht uns bis zum Bauch. Die Menschen halten ihre Wege mit großen stinkenden Ungetümen vom Schnee frei.
Wir streifen durch die Landschaft auf der Suche nach Beute, als starker Schneefall einsetzt. Gleichzeitig frischt der Wind auf und verweht den Schnee, der die Landschaft bedeckt.

Wir hören in einiger Entfernung auf dem Weg der Menschen solch ein stinkendes und lautes Untier mit vier glühenden Augen näherkommen. Also unterbrechen wir die Nahrungssuche für den Moment und ducken uns in den Schnee. Das Untier rutscht plötzlich seitwärts und seine Gliedmaßen wühlen sich tiefer in die Schneeverwehung.

Einen kurzen Moment passiert nichts mehr. Nur das Glühen der Augen erlischt. Dann klappt ein Flügel nach vorne auf und eine Menschin kommt zum Vorschein. Sie entfernt sich von dem Untier und versucht den Weg zu Fuß weiter zu gehen. Ich schnüffele und spüre, dass sie hochgradig erregt ist. Gleichzeitig ist sie äußerst besorgt.

In mir ist eine große Vertrautheit und tiefe Dankbarkeit gegenüber der Menschin. Warum das so ist, weiß ich im Augenblick nicht. Aber es ist ungewöhnlich genug, da wir uns sonst misstrauisch gegenüber verhalten. Ich will meine Gefühle erkunden, deshalb erhebe ich mich und trabe so gut das geht durch den Schnee, parallel zu dem Weg, den die Menschin nimmt. Meine Gefährtin und die Jährlinge folgen mir.

Plötzlich erspüre ich den Geruch von Schmerz. Die Menschin schaut sich um. Der Wind hat an einer Stelle am Wegesrand den Schnee fast vollständig fortgeweht. Dorthin wendet sie sich jetzt. Schmerz kann ich nun keinen mehr spüren. Der Geruch von Angst ist jetzt stärker. Dann bricht die Menschin zusammen und ist nicht mehr sichtbar.

Sofort ändere ich meine Richtung und laufe hüpfend durch den tiefen Schnee dorthin, wo die Menschin zuletzt sichtbar gewesen ist. Ich sehe sie im flachen Schnee auf der Seite liegen. Sie scheint zu schlafen. Ich beuge meine Läufe, mache mich klein und krieche nahe an ihren Kopf heran. Hier versuche ich ihren Kopf zu stützen. Meine Gefährtin und die Jährlinge umringen die Menschin und versuchen, sie vor dem kalten Wind zu schützen.

Bald darauf spüre ich wieder diesen Schmerz in der Menschin. Sie erwacht davon, dreht sich auf den Rücken und zieht die Hinterläufe an. Als ich vor langer Zeit 'Wolfskind' als ihr Totemtier durch ihr Leben begleitet habe, habe ich dieses Verhalten immer wieder gesehen. So gebären Menschinnen ihre Welpen. Da ihr Rumpf auch sehr dick ist, wird mir klar, was hier geschieht. Ich wende meinen Kopf zu meiner Gefährtin, die stoßartig ausatmet. Sie hat die Situation ebenfalls erkannt.