Wolfskind -10
Die Wehen kommen in immer kürzeren Abständen. Plötzlich kriecht einer der Wölfe zwischen meine Beine. Er macht das fast wie in Zeitlupe und schiebt dabei seinen Bauch über die Erde. Dann spüre ich, dass 'Gibaa Mary' -Wölfin Maria-, meine Tochter, das Licht der Welt erblickt hat. Ich krümme den Rücken, um mit den Armen an meine Tochter zu kommen, bin im Moment aber zu schwach. Der Wolf zwischen meinen Beinen stupst meine Kleine vorsichtig an. Ein Schrei entfährt ihrer Brust und sie beginnt zu weinen. Ein weiterer Wolf schiebt sich unter meiner Kniekehle näher und nun lecken beide Wölfe mein Mädchen sauber. Dann rutscht die Nachgeburt heraus. Der erste Wolf schnappt sie sich und frisst sie auf, während der jüngere Wolf weiter mein Mädchen leckt.

Inzwischen habe ich geschafft, mich aufzusetzen und mein Mädchen aufzunehmen. Ich öffne meinen Parka, schiebe meinen Pullover und den BH hoch und lege mein Mädchen an die Brust. Sofort beginnt es zu trinken. Alle Wölfe rücken noch näher an mich heran und schützen mich mit ihren Körpern vor dem kalten Wind. Der Wolf, der anfangs meinen Kopf gestützt hat, setzt sich auf und wäscht mir mit seiner Zunge von Zeit zu Zeit den Schnee aus dem Gesicht. Ich habe inzwischen die Kapuze des Parkas über den Hinterkopf ziehen und ihn vorne weitgehend wieder schließen können.

Jetzt höre ich, wie ein anderes Auto aus unserem Ort näherkommt. Der Fahrer hat wohl meinen Wagen gesehen, dessen Warnblinkanlage immer noch arbeitet. Er hält vor meinem Wagen und zwei Männer steigen aus. Sie sehen, dass mein Wagen unbesetzt ist und schauen sich um. Danach folgen sie der Straße in meine Richtung und schauen immer noch, ob sie jemanden oder etwas entdecken können.

Als sie nah genug sind, erkenne ich zwei Police-Officer. Sie ziehen ihre Revolver. Ich rufe ihnen entgegen:

"Nicht schießen! Bitte, nicht schießen!"

Aber schon ertönen Schüsse. Ich lasse mich nach hinten fallen und die Wölfe flüchten ins Hinterland. Bei mir angekommen, helfen sie mir auf und fragen mich:

"Hello, Lady. Are you okay?"

Ich bestätige es ihm und erkläre gleich, dass dem wohl nicht so wäre, wenn mich das Wolfsrudel nicht gewärmt hätte. Auch bemerke ich, dass die Alphawölfin Hebamme für meine neugeborene Tochter gespielt hat. Zur Bestätigung öffne ich den Parka ein Stück weit und zeige ihnen meine Tochter.

Während wir zu den Autos gehen und sie mich dabei stützen, fragen sie mich, was mit meinem Auto los ist. Ich erkläre ihnen meine Panne. Daraufhin bieten sie mir an, mich mit meinem Mädchen ins nächste Krankenhaus zu bringen. Gerne sage ich zu und setze mich in den Streifenwagen.

*

Irgendwann hören wir wieder das typische Geräusch eines anderen Untiers. Dann sehen wir dessen leuchtende Augen. Normalerweise hätten wir jetzt Abstand genommen. Aber ich werde die Menschin nicht alleinlassen! Ich weiß jetzt, wer sie ist: Ich spüre den Lebenshauch von 'Wolfskind' in ihr, der Menschin, die mich vor langer Zeit getötet hat, damit ich nicht elendig verhungere, weil ich kein Beutetier mehr jagen kann. Sie hat mich erlöst, wofür ich sie ihr Leben lang beschützt habe. Nun haben wir uns also in einem anderen Leben wieder getroffen und ich werde sie erneut beschützen.

Zwei Menschen steigen aus dem Untier und untersuchen das tote Untier von ‚Wolfskind‘. Dann folgen sie dem Weg und kommen näher, während sie sich immer wieder umschauen. Schließlich haben sie uns entdeckt. Sie rufen sich gegenseitig etwas zu. Ich spüre große Erregung. Dann zeigen sie mit ihren Vorderläufen in unsere Richtung. Nun blitzt es an der Spitze ihrer Vorderläufe auf und gleichzeitig ertönen knallende Geräusche.

Wir erheben uns und laufen hüpfend durch den tiefen Schnee davon. Nach einer Weile bleibe ich stehen und schaue zurück. Mit mir beobachten die übrigen Mitglieder meiner Familie was sich bei 'Wolfskind' tut. Die beiden Menschen haben sie inzwischen erreicht und helfen ihr aufzustehen. Sie hat ihren Welpen in ihrem Fell verborgen und hält es warm.