Geräusche der Nacht -60
"Hi, Liam. Schau mal, was ich zu dem Zusammentreffen der jungen Frau mit dem Wolf geschrieben habe."

"Hey, danke dir, Bastian! Da bin ich aber einmal gespannt. Leider kann ich das nicht selbst erfühlen, sondern müsste versuchen empathisch auf so ein Wildtier zuzugehen. Die Figur der Tessa in Herrn Beltz Roman hat durch ihren verstorbenen Vater ja einiges an Hintergrundwissen."

Ich lade Bastians SD-Card in mein Tablet und starte Word. Nun lese ich:


---Isegrim trifft auf eine junge Menschin---

Ich habe mein Rudel verlassen, um mir ein neues Revier zu suchen und vielleicht mit einer Gefährtin ein neues Rudel zu gründen. Eine Serie von Tagen und Nächten bin ich schon unterwegs. Meine Nahrung sind kleine Tiere auf den weiten Ebenen.

Leider gibt es nur noch wenige Bauminseln. Eines Tages trabe ich zwischen Bäumen eine Anhöhe hinauf. Auf der Spitze finde ich nacktes Gestein. Zufällig gibt es dort ein Loch, in das ich hineinkriechen kann. Ich schnüffele, kann aber keine fremden Gerüche feststellen.

Hier hinein schleppe ich ein junges Reh und labe mich an der Mahlzeit. Danach werde ich müde und lege mich zu einem Verdauungsschlaf hin. In der Abenddämmerung verlasse ich das Loch wieder und wittere, in welcher Richtung Jagdbeute auf mich wartet.

Als ich einen bekannten Geruch in die Nase bekomme, schleiche ich mich näher. Dann rase ich los. Aber die Jagdbeute rennt frühzeitig los. Nun streiche ich kreuz und quer unter den Bäumen umher.

Ein Nieselregen setzt ein und überdeckt die Duftspuren meiner Jagdbeute. Heute muss ich wohl von dem geschlagenen kleinen Reh zehren. Ich mache mich auf den kilometerweiten Rückweg zu meinem Loch. Mittlerweile wird der Regen stärker. Aus der Ferne nähert sich ein Gewitter.

Als ich mein Loch erreiche spüre an den Steinen einen fremden Duft. Ich schaue in das Loch und finde es besetzt! Dies ist MEIN Loch! Darum stoße ich ein warnendes Knurren aus und fletsche drohend meine Zähne. Nun wird es mit einem Mal so hell, dass ich blinzeln muss. Dann rumpelt es im Innern des Loches. Danach wird es still.

Ich warte eine Weile. Alles bleibt ruhig, also drücke ich mich in den Eingang. Dabei schnüffele ich intensiv. Vor mir liegt ein kleiner Mensch mit eigenartigem Geruch. Von dem Geschöpf geht keine unmittelbare Gefahr aus. Also lege ich mich ab und nicke bald ein.

Als die Töne des Waldes sich allmählich verändern und draußen der Tag anbricht, bewegt sich der kleine Mensch. Sofort bin ich hellwach und beäuge ihn misstrauisch. Das Geschöpf ächzt, als wäre es nicht gesund. Es dreht sich und lehnt sich an die Wand des Loches. Auch der kleine Mensch schaut mich nun aufmerksam an. Ich kann jetzt keine Angst mehr riechen.

Das Geschöpf macht etwas und hat plötzlich totes Fleisch in der Pfote. Das ist zwar nicht dasselbe, was ich im Wald finde, nachdem ich eine Jagdbeute zur Strecke gebracht habe. Das wäre warm. Dunkle nahrhafte Flüssigkeit liefe hinaus. Aber es ist Nahrung, was das Geschöpf da in der Pfote hält. Es schiebt das Fleisch näher zu mir und frisst selbst irgendetwas ungenießbares.

Ich komme vorne halbhoch und schnüffele an dem Stück Fleisch. Es riecht komisch, aber der Geruch des Fleisches ist stärker und mein Magen fühlt sich leer an. Also schnappe ich mir das Fleisch. Das Geschöpf gibt keinen Laut. Ich kann auch eine Aggression riechen. Also hat das Geschöpf mir von seiner Beute freiwillig etwas abgegeben.