Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 07
Nach vielleicht einer Viertelstunde biegt das Gespann von der Straße ab und kommt kurz darauf zum Stehen. Mister Wagner öffnet die Heckklappe und legt sie um, damit sie mir als Rampe dienen kann.

"Jetzt hast du es bald geschafft," meint er lächelnd und führt mich an der Leine aus der Rikscha.

Kaum bin ich ins Freie getreten, spüre ich die typische Stimmung eines beginnenden Wettkampfes. Hier in der Haltespur steht Gespann hinter Gespann. Einige andere Ponys werden von ihren Trainern in den Block des Stadions geführt. Sie schauen sich nervös und aufgeregt um. Auch deren Trainer reden ihnen gut zu. Andere Sportbegeisterte stehen herum und unterhalten sich angeregt miteinander.

Mister Wagner führt mich in den Stall des Stadions. Danach verlässt er mich. Er wird zuerst zur Wettkampfleitung gehen, um meine Startnummer zu erfahren.

Als er zurückkommt, sagt er, dass ich im letzten Drittel starte. Anschließend kümmert er sich um mein Aussehen. Meine Mähne wird mit einer Creme eingerieben und mit einer Bürste bearbeitet bis sie schön aufrecht steht.
Wir haben noch eine Menge Zeit. Mister Wagner geht nun mit mir auf den Wettkampfplatz. Die Hindernisse sind hier nicht, wie zuhause, in einem Oval auf der Koppel angeordnet, sondern wirken wie zufällig über das Feld verteilt.

Er geht mit mir die Hindernisse ab. Jetzt heißt es achtgeben und sich die Reihenfolge der Hindernisse einprägen. In der Klasse E muss ich sieben Hindernisse schaffen, die maximal 90 Zentimeter hoch sind. Das habe ich oft genug geübt! Während wir die Hindernisse abgehen erkenne ich, dass das jeweils nächste Hindernis immer links zu finden ist. Also scheint das auch keine Schwierigkeit darzustellen.

Nachdem wir die Hindernisse zweimal abgegangen sind, soll ich einmal daran vorbeitraben. Vor dem Hoch-Weit-Hindernis gehe ich kurz in den Galopp. Danach führt Mister Wagner mich in einen weiten Raum neben dem Stall, wo ich einige Runden traben soll, um mich warm zu machen.
Als der Wettkampf schon läuft und der Übungsraum dadurch fast leer ist, bringt er ein paar Stangen und Ständer herbei, damit ich sie überspringe. Ich trabe dafür links herum, damit ich mir den Bewegungsablauf einpräge.

Endlich ist die Reihenfolge an mir. Mein Trainer Mister Wagner führt mich an der Führleine zum Startpunkt. Der Wettkampfleiter stellt mich den Zuschauern vor und mein Owner löst die Führleine vom Zaumzeug. Ich beiße auf die Trense und als die Glocke ertönt, laufe ich los. Jetzt kommt es darauf an!

Auf den Rängen des Stadions sind die Zuschauer verstummt. Die dumpfen Geräusche meiner Hufe sind das Einzige, was ich wahrnehme.

Wenige Sekunden später kommt eine kleine Hürde. Obwohl ich noch nicht die volle Geschwindigkeit draufhabe, überspringe ich das Hindernis ohne ein Problem. Während ich ein Bein anhebe bis sich der Oberschenkel waagerecht zum Erdboden befindet und den Unterschenkel schwungvoll nach vorne werfe, hat mein anderes Bein den Absprung eingeleitet und bewegt sich nun nach hinten. Dabei hebe ich den Huf über meinen Hintern hoch.

Ich 'fliege' förmlich über das Hindernis und komme dahinter mit dem vorderen Bein zuerst wieder auf. Mit dem Aufkommen des hinteren Beines auf den Boden finde ich mein Gleichgewicht und wende mich hinter dem Hindernis etwas nach links, beschleunige in den Galopp und überspringe gleichzeitig zwei Hürden, die einen halben Meter hintereinander aufgebaut, aber nicht höher als das erste Hindernis sind. Ich schaffe den weiten Sprung und Euphorie will sich in mir breitmachen. Doch noch habe ich den Parcours nicht geschafft.

Ich konzentriere mich auf die Sprungtechnik, die mir Mister Wagner beigebracht hat und sehe das nächste Hindernis auf mich zukommen. Es ist ein einfaches Hindernis. Mich auf die Mitte der Stangen konzentrierend, überspringe ich auch dieses ohne eine der Stangen zu reißen.

Dahinter muss ich eine enge Kurve nach links laufen und wieder kommt ein Hindernis aus zwei Hürden. Noch einmal beschleunige ich in den Galopp und überspringe diese Doppelhürde. Anschließend trabe ich mit lockeren Bewegungen einen größeren Halbkreis. Nun wird es schwieriger.

Das fünfte Hindernis bedeutet für mich einen Dreifach-Sprung. Zuerst sind wieder zwei Hürden gleichzeitig zu überspringen. Kaum haben meine Hufe wieder Bodenkontakt, muss ich fast aus dem Stand eine einzelne Hürde überspringen und schließlich noch einmal eine Doppelhürde.

Routiniert meistere ich die Schwierigkeit und trabe einen weiteren Viertelkreis. Dort erwartet mich eine einzelne Hürde. Jetzt nur nicht leichtsinnig werden! Als ich auch dieses Hindernis mit Bravour geschafft habe, trabe ich mit federnden Schritten in einem leichten Bogen auf zwei hohe Hürden zu, die ähnlich kurz hintereinanderstehen, wie es eben bei dem Dreifach-Sprung gewesen ist.

Kaum habe ich das erste hohe Hindernis übersprungen, kommt ein zweites hohe, aber auch weite Hindernis. Dort steht eine niedrige Hürde hinter der hohen, die ich nicht reißen darf. Hier darf ich meine Beine nicht zu früh herunternehmen.

Wieder muss ich einen Viertelkreis traben und eine einfache Hürde überspringen. Endlich kann ich auslaufen und langsamer werden. Mein Ziel ist erreicht. Ich bin zufrieden mit mir.

Mein Brustkorb hebt und senkt sich rasch. Mein Herz klopft von innen gegen die Rippen. Speichel tropft von meinem Kinn und der Schweiß läuft mir in die Augen. Geschafft! Applaus schallt von überall her. Eine Stimme an meiner Seite lobt:

"Das hast du gut gemacht!"

Mister Wagner hat mich erreicht und klinkt die Führleine ins Zaumzeug. Ich nicke schwach mit dem Kopf, zu mehr bin ich nicht mehr in der Lage. Mein Trainer führt mich langsam vom Wettkampfplatz herunter.

"Na komm, ich bring dich zurück in den Stall," sagt er in sanftem Ton.

Er trocknet mich mit einem Handtuch ab und nimmt die Trense aus dem Zaumzeug. Es ist Vorschrift, dass alle Ponys während der Wettkämpfe eine Trense tragen. Ich freue mich nun, mich wieder auf der Schlafstatt in der zugewiesenen Box niederlassen zu dürfen.

*

"Hey, Reign, aufwachen! Du willst doch bestimmt nicht die Siegerehrung verpassen?"

Mister Wagners Stimme dringt in meine Träume. Erst allmählich wird mir bewusst, wo ich bin und was passiert ist. Ich öffne die Augen. Schwerfällig richte ich mich auf. Sie wringt einen Lappen in einem Eimer Wasser aus und fährt mir damit sanft über Stirn, Wangen und Schultern. Langsam kehren meine Lebensgeister zurück.

Ich stille meinen momentanen Hunger und den Durst. In wenigen Minuten werde ich erfahren, welchen Platz ich errungen habe. Mein Trainer greift nach meinem Zaumzeug und setzt die Trense wieder ein. Anschließend bürstet er mit einer kleinen Bürste meine Mähne wieder ordentlich. Schließlich klinkt er die Führleine an mein Zaumzeug und führt mich ins Stadion zurück.

Meine Unruhe wächst. Der Platz ist von den Hindernissen geräumt worden. Ein Siegertreppchen wurde aufgestellt. Davor haben sich schon einige Trainer mit ihren Ponys eingefunden. Sie warten ebenso darauf, dass es losgeht. Mein Trainer stellt sich mit mir etwas abseits, damit wir alles gut überblicken können.