Freitag, 5. August 2022
Die Unterwelt des Achad Dùir Meave 05
'Dies scheint ein Longierzirkel zu sein,' geht mir durch den Kopf.

Mister Wagner tauscht nun die Führleine gegen die Leine aus, die von diesem Gestell herunterhängt.

"Na, dann zeig' mal, was du kannst!" sagt er und lächelt mir aufmunternd zu.

Ich beginne im Schritt und hebe dabei die Oberschenkel an, bis sie waagerecht sind. Die Stange des Gestells folgt mir dabei. Mister Wagner setzt sich auf den Zaun und schaut zu. Nach einigen Runden im Schritt ruft er mir zu:

"Trab!"

Sofort falle ich in die schnellere Gangart und unbestimmte Zeit darauf fordert er laut:

"Galopp!"

Auch diese Gangart führe ich ihm vor, so gut mir es Phyllis beigebracht hat. Ich versuche, mich ihm von meiner besten Seite zu zeigen. Zurück im Stall spritzt er mich erst einmal ab und rubbelt mich trocken. In meiner Box angekommen, befreit er mich von Trense und Kopfgeschirr. Er schließt das Boxen-Tor und entfernt sich wieder. Irgendwie bin ich froh, jetzt meine Ruhe zu haben.

Als mein Atem wieder ruhiger geht, rappele ich mich noch einmal auf und tauche meinen Kopf in das Wasserbecken. Gierig sauge ich Wasser heraus. Einige Zeit später kommt Mister Wagner in den Stall zurück und beginnt unsere Futtertröge zu füllen und an die Boxen-Tore zu hängen.

Danach wünscht er uns "Guten Appetit", und verlässt den Stall wieder. Behutsam senke ich meinen Kopf über dem Trog und angele mir die Pellets. Auch Mister Wagner gibt gestiftelte Grünkost hinzu. Innerlich seufzend, beginne ich meinen Hunger zu stillen. Der erste Tag im neuen 'Heim' ist somit überstanden. Das Licht, dass durch die Dachfenster hereinfällt, lässt den Stall immer dämmriger erscheinen. Demnach werden die Tageslichtlampen heruntergeregelt, weil es oben Nacht wird.

Nach dem Essen gehe ich zu der Wanne mit der Granulat-Füllung an der Wand und stelle mich breitbeinig darüber. Anschließend lasse ich mich auf meiner Schlafstatt nieder und arbeite mir mit einer Schulter eine Kuhle, um bequem auf der Seite liegend schlafen zu können. Trotzdem dauert es eine ganze Weile, bis ich endlich eingeschlafen bin.

*

Schwer schlägt mein Huf auf den sandigen Boden und bietet mir für einen Moment festen Stand, bevor ich ihn schwungvoll nach oben ziehe. Mein Knie kommt bis zur Hüfte hoch, so dass mein Oberschenkel für einen kurzen Augenblick in der Waagerechten ist, bevor es sich für den nächsten Schritt wieder senkt. Dieser Schritt ist noch ein wenig schneller und kraftvoller als der letzte. Als mein Huf sich erneut senkt, stemmt er sich regelrecht in den Sand.

Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet, unterstützt von den großen, schwarzen Scheuklappen, die links und rechts an meinem Zaumzeug befestigt sind. Auch ohne dieses Hilfsmittel hätte sich meine Aufmerksamkeit vollkommen auf die Aufbauten gerichtet, die sich wenige Meter vor mir befinden und schnell näherkommen.

Zwischen zwei Ständern liegen zwei rot-weiß gestreifte Stangen von zwei Metern Länge. Die obere befindet sich auf einer Höhe von ungefähr 60 Zentimetern, die untere hängt etwa halb so hoch.

Mit hohem Tempo laufe ich frontal auf das Hindernis zu. Meine Hufe donnern noch ein paar Mal über den Sand, bis ich mich unmittelbar vor den Stangen befinde. Für einen letzten weiten Schritt lasse ich meinen rechten Huf auf dem Boden aufkommen. Wieder federe ich ab. Mein linkes Bein schnellt vor, das Knie wird nach oben gezogen, jedoch nicht so geradlinig wie zuvor.

Stattdessen lasse ich meinen Huf nach vorne schwingen, strecke das Bein aus und ziehe es damit über die obere Stange der Hürde. Gleichzeitig löst sich mein rechter Huf vom Boden und wird vom Schwung meines Körpers mitgezogen. Anstatt auch dieses Bein zu beugen, lasse ich es nach hinten pendeln, beuge das Kniegelenk und hebe meinen Huf damit auf Höhe meines Hinterns.

Ich passiere die Stangen, ohne dass eine fällt. Mein linkes Bein senkt sich wieder, während ich das rechte nach vorne ziehe. Mit einem dumpfen Schlag trifft mein linker Huf auf den Boden. Für einen Moment drohe ich mein Gleichgewicht zu verlieren. Doch der mitgenommene Schwung des Sprunges sorgt dafür, dass mein zweiter Huf einen Schritt vor dem ersten aufkommt.

Ich lege noch ein paar Meter zurück, wobei ich das Tempo langsam reduziere, bis ich am Ende des Trainingsplatzes zum Stehen komme.

Meine Brust hebt und senkt sich kraftvoll, als ich mich halb um die eigene Achse drehe. Für ein paar Sekunden hängt mein Blick auf dem Hindernis, das ich eben überwunden habe. Ich habe es geschafft, über die obere Stange zu springen, ohne sie auch nur zu berühren, obwohl ich auf Hufschuhen laufe. Stolz steigt in mir auf.

"Gut gemacht!" lobt mich Mister Wagner. "Aber du musst den Oberkörper gerader halten! Beug dich nicht so weit vor, sonst verlierst du das Gleichgewicht. Nur eine leichte Neigung, um den Schwung mitzunehmen. Versuch den Kopf gerade zu halten, der Blick geht nach vorne, und nicht nach unten! Deine Hufe werden den Boden schon finden!"

Ich drehe den Kopf ein wenig zur Seite, bis mein Trainer im Sichtfeld zwischen den Scheuklappen erscheint.

"Wir machen das gleich noch einmal!" entscheidet er. "Achte dieses Mal darauf, dass du im Rücken gerader bleibst. Halte den Blick nach oben gerichtet, zum Beispiel auf den Zaun. Das macht es dir einfacher, direkt weiter zu laufen. Du verlierst zu viel Tempo bei der Landung!"

Ich setze mich wieder in Bewegung und beschreibe einen weiten Bogen über den Sandplatz, wobei ich in einen schnellen Trab verfalle. Vor ein wenig über einer Woche hat Mister Wagner damit begonnen, mich mit Hindernissen vertraut zu machen. Zuerst haben nur ein paar Stangen in verschiedenen Abständen auf dem Boden gelegen, über die ich zuerst laufen muss, ohne sie zu berühren. Dann hat er die Stangen auf Ständer gelegt und ich muss sie überspringen. Zuerst sind es nur 10 Zentimeter gewesen. Danach ist das Hindernis allmählich höher geworden.