Wolfskind -18
"Mary!" ruft Grandma.

Ich laufe die Treppe hinunter in den Diningroom. Noch steht kein Geburtstagskuchen auf dem Tisch. Es ist auch noch viel zu früh für die Party. Grandma steht dort. Sie hat Stiefel und einen Fellparka an, mit Stickereien der Tlingit.

"Zieh dir etwas Warmes an, Mary. Ich möchte mit dir einen Spaziergang machen," fordert sie mich auf.

Ich laufe wieder nach oben und sehe in meinem Outfit bald so aus wie sie. Als wir das Haus verlassen, trägt sie eine Kühlbox in der Hand. Wir spazieren quer durch den Ort, bis wir die Country-Road erreichen, über die wir in die nahe Kleinstadt kämen.

Grandma hält sich am Straßenrand und ich folge ihr. Ich weiß, dass wir zu meinem Geburtsort unterwegs sind. In der Kühlbox hat Grandma ganz sicher Fleisch für unser Wolfsrudel. Wir müssten allerdings etwa 15 Meilen zu meinem Geburtsort wandern. Ob wir soweit kommen?

Wir sind zwei Stunden unterwegs und vielleicht vier Meilen weit gekommen, als wir einen Wolf heulen hören. Grandma hat einen Reisigbesen dabei und befreit ein Stückchen des Straßenrandes vom Schnee. Nun setzen wir uns in den Straßengraben und schnell sind wir von einem ganzen Rudel Wölfe umgeben. Eine Wölfin mit weißer Schnauze drückt sich durch die Leiber der Anderen.

In ihrer Schnauze trägt sie einen Geigenkasten an seinem Griff. Sie legt den Kasten vorsichtig vor mir ab und drückt sich an mich. Ein weiblicher Jährling kommt näher, stützt sich mit den Vorderpfoten auf dem Rücken der Alphawölfin ab und leckt mir durch das Gesicht.

Grandma sagt leise und schmunzelt dabei:
"Gibaa Mary, darf ich dir Gibaa Liz vorstellen?"

In diesem Moment hüpft der weibliche Jährling über sein Muttertier und landet in meinem Schoß. Ich beginne sofort die junge Wölfin zu streicheln. Zu Grandma gewandt, die nun das Fleisch aus der Kühlbox verteilt, frage ich:

"Sie heißt wie Mum?"

"Sie ist deine Mum, Liebes! In ihr lebt die Seele deiner Mum weiter."

Die junge Wölfin reibt ihren Kopf an meiner Brust. Ich schaue Grandma erstaunt an und frage:

"Wie ist das möglich?"

"Hast du schon einmal von Seelenwanderung gehört, Mary?"

"Ja, aber ob es das wirklich gibt?"

"Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde, als sich der Mensch je ausmalen kann, Mary. Man muss es einfach akzeptieren und daran glauben. Schau dir doch einmal das Geschenk an, das dir die Wölfe gebracht haben."

Ich öffne den Geigenkasten und mache große Augen. Zum Vorschein kommt eine ¾ Schülergeige.

Lächelnd bemerkt Grandma:
"Du brauchst inzwischen ja eine Größere."

Ich falle Grandma um den Hals. Sie meint:
"Bedanke dich bei deinem Rudel, Mary, und besonders bei Gibaa Liz."