Freitag, 7. April 2023
Wolfskind -16
Sie bieten uns an, uns hinzu zu setzen, nachdem Grandma gefragt hat, ob wir schon gegessen haben. Grandma geht an den Schrank und holt noch zwei Gedecke für uns an den Tisch. Sie füllt mir den Teller und ich beginne mit Heißhunger zu essen, habe ich doch seit heute Vormittag in der Schule nichts mehr gegessen. Dad sitzt vor dem leeren Teller, stützt plötzlich seinen Kopf in die Hände und beginnt haltlos zu weinen. Vor ihm liegt der Zettel, der bei uns an der Tür geklebt hat.

Grandpa lässt Dad in Ruhe. Er nimmt sich nur den Zettel, liest und gibt ihn dann an Grandma weiter. Ich schaue verstört von Dad zu Grandma, die jetzt den Zettel neben ihren Teller legt und aufsteht. Sie umrundet den Tisch und legt Dad ihre Hände von hinten auf seine Schultern.

Dad versteift sich und wendet sich zu Grandpa.

"Gott hat eure Tochter zu sich geholt," sagt er mit rauer Stimme. "Er hat sie einfach so aus ihrer Familie gerissen!"

Grandma fasst fester zu. Sie antwortet ihm:
"Es war ihre Bestimmung, euch ab heute in einer anderen Wesensform zu begleiten! Clyde, sie ist nicht fort. Vielleicht sitzt sie gerade dort im Sessel am Kamin und schaut, wie wir reagieren. Danach wird sie ihr weiteres Handeln ausrichten."

"Aber sie ist tot!" begehrt er auf. "Sie wird sich nie mehr an mich kuscheln, mir keinen Kuss mehr geben, mich nicht mehr aufrichten können!"

Mit diesen Worten steht Dad auf und stürmt aus dem Haus. Er setzt sich in unser Auto und fährt davon. Grandma setzt sich neben mich und legt mir ihren Arm auf meine Schultern.

*

Als der Doktor im St.Johns Hospital gesagt hat, Mary soll an der Anmeldung warten, führt er mich in einen klimatisierten Raum. Auf einer Seite sehe ich viele große Schubfächer. Der Doktor zieht an einem der Griffe und eine lange Box fährt aus der Wand. Darinnen liegt Liz wie schlafend in einem durchsichtigen Kunststoffsack. Ich schaue den Mann entgeistert an und frage, was hier passiert ist. Er beteuert, dass sie schon verstorben war, als sie im Krankenwagen das Hospital erreicht hat. Seine Kollegen von der Frühschicht haben nur noch den Tod festgestellt.

In meinem Kopf dreht sich alles. Meine Gedanken kreisen um die beiden Worte 'Was jetzt?'. Keiner der Gedanken lässt sich festhalten. Ich gehe zur Anmeldung zurück und winke Mary heran. Mit ihr im Auto fahre ich zurück in unseren Wohnort und halte vor dem Haus meiner Schwiegereltern. Dort setze ich mich an den Esstisch und kann mit einem Mal nicht mehr an mich halten. Meine Welt ist zusammengebrochen. Meine Schwiegermutter versucht mich zu trösten. Doch ihre Worte erreichen mich nicht.

In meinem Kopf formt sich der Name 'Jake'. Mein Kumpel von den Firefighters ist wohl die Person, die Liz als Letzter lebend gesehen hat. Dort muss ich hin! Ich erhebe mich und verlasse das Haus meiner Schwiegereltern. Es dauert nur wenige Minuten bis ich vor Jake’s Haus angekommen bin und an der Tür klopfe. Ann, seine Frau, öffnet mir und macht mir stumm Platz, damit ich eintreten kann. Ich sehe Jake am Kamin im Sessel sitzen, mit dem Kopfhörer auf den Ohren. Mich neben ihn setzend, schaue ich Jake an. Seine Frau ist in die Küche gegangen und bringt mir eine Tasse Tee.

Jake schaut auf und sieht mich. Er zieht die Stirn in Falten, atmet tief ein und legt den Kopfhörer zur Seite.

"Clyde, ich habe alles versucht..." sagt er.

"Kannst du mir berichten, wie das heute abgelaufen ist?" frage ich.

Wieder atmet Jake tief ein.