Montag, 10. April 2023
Wolfskind -17
"Ich habe mir angehört, was zwischen dem Dispatcher und deiner Frau gesprochen wurde. Ich dachte, da ergibt sich vielleicht ein Indiz..."

"Ja, und?"

"Um 10:12 hat der Dispatcher ein Gespräch angenommen. Deine Frau sagte ihren Namen und ihre Adresse. Sie sagte, dass sie unter starken Leibschmerzen leidet, wie eine plötzliche Kolik. Sie weiß nicht, wie sie sich hinlegen soll, um eine möglichst gute Position zu haben, mit möglichst geringen Schmerzen.
Der Dispatcher alarmierte die Besatzung des Krankenwagens. Das sind Mike und ich heute Morgen gewesen. Er hat Liz dann geraten, die Haustür zu öffnen. Wir haben bei Nennung von Namen und Adresse sofort gewusst, wo wir hinfahren müssen und sind mit der Sirene losgefahren.
Bei dir angekommen, sehen wir Liz hinter der Haustür am Boden liegen. Sie war bewusstlos. Wir haben die Tür aufgeschoben, uns durch den Spalt gedrückt und ich habe sofort die Wiederbelebungs-Maßnahmen eingeleitet. Ich habe es auch geschafft. Sie wollte, dass ich eine Nachricht hinterlasse. Danach haben wir sie in den Krankenwagen getragen und einen Zugang gelegt. Du kennst das Procedere ja auch. Ich habe sie interviewt und oberflächlich untersucht. Ihre Bauchdecke erschien verhärtet.
Mike ist dann losgefahren, während ich neben ihr sitzengeblieben bin. Wir haben ihr Schmerzmittel über den Zugang gegeben. Auf dem Weg ins Krankenhaus fällt ihr Kopf zur Seite. Wieder beginne ich mit Wiederbelebungs-Maßnahmen, aber wir haben sie verloren bis wir das Hospital erreicht haben.
Wir sind noch dort geblieben und haben den Ärzten zugeschaut, die schließlich den Tod festgestellt haben."

Wir starren beide eine Weile vor uns hin. An der Situation ist nichts mehr zu ändern. Schließlich erhebe ich mich. Draußen dämmert es bereits. Ich gehe stumm zur Haustür. Jake folgt mir und drückt mir zum Abschied die Hand, die freie Hand auf meine Schulter gelegt. Anschließend fahre ich nachhause, lege mich ins Bett und falle in einen unruhigen Schlaf. Wenn ich wachliege, habe ich den Eindruck, dass Wölfe in der Nähe heulen.

*

Ich bin bis Mummys Beerdigung bei den Großeltern geblieben und von dort aus zur Schule gegangen. Dann ziehe ich wieder bei Dad ein. Er hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Aus dem liebevollen Dad ist ein harter Mann geworden. Er macht zwar morgens das Frühstück, aber statt eines Dinners fährt er mit mir zu McDonalds, wenn er von der Arbeit kommt.

Eines Tages erwischt er mich dabei, wie ich mit meiner Geige Naturgeräusche nachahme. Ich glaube, er kommt gerade von der Arbeit, als ich das Heulen von Wölfen mit dem Geigenbogen imitiere. Er kommt in höchster Erregung in mein Zimmer gestürmt und zerstört die Geige. Sein Gesicht ist wutverzerrt. Ich bin in höchstem Maße erschrocken. Anschließend stürmt er nach draußen und fährt weg.

Jetzt erst beginne ich zu weinen. Ich fühle mich am Boden zerstört.

Dann packe ich ein paar Sachen in meinen Rucksack, lege meine Schultasche in den Korb auf meinem Fahrrad und fahre zu den Großeltern. Dort angekommen klage ich ihnen mein Leid. Grandma beruhigt mich. Sie sagt, sie würde mir eine neue Geige schenken. Vorher will sie aber noch einmal mit Dad darüber reden. Leider lässt Dad nicht mit sich reden. Also ziehe ich dauerhaft bei den Großeltern ein.

An Father Christmas bin ich zwar wunderbar abgelenkt. Leider habe ich keine eigene Geige bekommen. Aber meine Musiklehrerin erlaubt mir mit einer Schülergeige weiter zu üben. Das Instrument muss aber in der Schule bleiben.

Dann rückt mein Geburtstag heran. Wieder ist die Landschaft tief verschneit.